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Saint
Mihiel den 10. Okt. 1914
Hochgeehrtester
Herr Pfarrer!
Schon
lange wollte ich Ihnen schreiben und meinen Dank aussprechen
für das Feldgebet, das Sie meinen l. Eltern gegeben haben,
das sie mir geschickt haben, aber ich hatte bis jetzt nicht
viel Gelegenheit zum Schreiben. Auch möchte ich Ihnen
danken für Ihren Besuch bei meinen l. Eltern und für
den Trost, den Sie ihnen zugesprochen haben.
Weil ich
jetzt gerade im Schreiben bin, möchte ich Ihnen l. Herr
Pfarrer auch einiges vom Schlachtfeld schreiben. Nachdem mein
Regt. die Schlacht am 20. August mitgemacht hatte, sind wir
am 25. August bis 12. Sept. vor Nancy gestanden, wo wir schwere
Kämpfe gehabt haben. Dann sind wir abgelöst und
zurückgezogen worden und haben in der Gegend um Metz
acht Tage Rast gehabt. Dann sind wir wieder gegen den Feind
gezogen mit frischer Kraft und Mut. Die ersten Tage sind wir
stramm vorgerückt, alle Tage haben wir den Gegner wieder
einige Kilometer zurückgeschlagen. Ich bin durch viele
verwüstete Dörfer gekommen. Es ist ein Jammer, wenn
man das alles mit ansehen muß, und wenn man bedenkt,
wenn der Krieg in unsere liebe Heimat hineingetragen worden
wäre. Man muß jedesmal, wenn man wieder neues Elend
sieht, seinem Gott dankbar sein, daß er bis jetzt bei
uns siegreich gewesen ist, ohne dessen Hilfe wir nicht wären,
wo wir jetzt sind. Man sieht es alle Tage wieder, daß
er mit uns ist, denn wie wir hier schon beschossen worden
sind, kann man nicht beschreiben. Man meint manchmal, die
Welt geht unter vor lauter Gekrach und Pfeifen der schweren
Geschosse, aber wir fürchten uns nicht, denn wir wissen,
der liebe Gott hat jede Kugel in seiner Hand und gibt ihr
ihren Lauf. Wir sind jetzt schon vierzehn Tage hier, nahe
am gefallenen Fort "Camp des Romains", wir sind
am weitesten vorn. Die Linie macht hier ein Viereck und daher
kommt es, daß wir immer von zwei Seiten beschossen werden.
Zum Glück haben sie noch nicht viel Glück gehabt
mit ihrer Schießerei. Bei meiner Batterie haben sie
einen Mann, der sofort tot war, und sieben Pferde auf einen
Schuß getroffen, und da sind wir von den Bewohnern von
Mihiel verraten worden. Es war gleich am ersten Tag. Seitdem
haben sie, Gott sei Dank, keinen Schaden mehr gemacht, obwohl
sie uns täglich hunderte von eisernen Grüßen
herübersenden. Wir sind mit unseren Pferden im Proviantamt.
Es ist bis heute nur eine Granate hereingefallen, zum Glück
auf einen Haufen Stroh. Sie hat keinen Schaden getan. Die
Franzosen führen in raffinierter Weise Krieg. Wenn sie
in einer Ortschaft nur einige Deutsche vermuten, schonen sie
ihre eigenen Bewohner nicht sondern schießen sinnlos
drauf los. So ist es erst gestern wieder in Mihiel gewesen.
Die Bewohner sind, seit daß die Stadt in deutschen Händen
ist, wieder in ihrer Behausung. Die Stadt ist deutscherseits
nicht beschossen worden, weil die Stadt eine Abfindungssumme
geleistet hat. Und jetzt schießen sie die Franzosen
selber zusammen. Unsere Feldküchen sind nämlich
schon die ganze Zeit in den Straßen von Mihiel gestanden.
Da müssen sie gestern von feindlichen Fliegern bemerkt
worden sein, weil kurz darauf, als die Flieger fort waren,
ein höllisches Feuer auf die Stadt eröffnet wurde.
Alle Fensterscheiben sind durch den Luftdruck zersprungen,
was nicht durch Granatsplitter hineingeschlagen worden ist.
Die Bewohner sind händeringend davongelaufen, ihre ganze
Habe zurücklassend. Sie dauern uns, die armen Leute.
Gegen uns waren sie alle sehr anständig und hatten großes
Vertrauen zu uns.
Und nun
will ich Ihnen, l. Herr Pfarrer, ein kleines Erlebnis, leider
ein trauriges, schildern. Es ist jetzt bereits schon drei
Wochen (her), wir standen an der Ortschaft Honnville. Wir
hatten früh den Befehl, uns Kaffee zu kochen in den Häusern.
Das Dorf ist zuvor von den Franzosen beschossen worden und
war fast die eine Straße ganz abgebrannt. Kurz, ich
ging mit einem Kameraden in ein Haus. Aber was mußten
wir da sehen! Der Besitzer lag, die linke Hand abgeschossen,
tot im Bett. Er ist vor seinem Haus getroffen worden, weil
wir das Blut sahen. Tief ergriffen gingen wir wieder zurück
in die Küche und machten uns ans Kaffeekochen. Als wir
fertig waren, kamen die zwei Töchter von dem Haus, welche
geflüchtet waren, und nun wieder zurückgebracht
worden sind, weil das Dorf nicht mehr im Kampfbereich steht.
Sie gaben uns durch Zeigen zu verstehen, daß sie hungrig
sind und vier Tage nichts mehr gegessen haben. Wir gaben ihnen
gleich von unserem Kaffee und Brot. Sie waren sehr dankbar
und bewiesen es damit, daß sie uns ein Paar wollene
Strümpfsocken gegeben haben. Aber wer beschreibt den
Jammer, als sie in die Stube traten und den Vater tot im Bett
sahen. Es wird da einem das Herz weich, obwohl man im Krieg
an alles Furchtbare gewöhnt wird. Später kam dann
auch die Mutter, eine stille, ernste Frau. Sie weinte still
vor sich hin. Der Mann wurde später von unsern Kanonieren
begraben. Es ist das immer ein Fingerzeig Gottes, wo er uns
zeigt, wie nichtig unser Leben ist.
Und nun
Gottbefohlen, l. Herr Pfarrer. Vielleicht ist es mir vergönnt,
wieder in unsere Kirche gehen zu können, um Gottes Wort
zu hören.
Kanns
ja nicht ewig währen,
oft hat Gott unsre Zähren,
eh mans meint abgewischt,
wenns bei uns heißt wie lange,
wird mir so angst und bange,
so hat er Leib und Seel erfrischt
Es grüßt
hochachtungsvoll
Johann Wening
Altkatterbach
Ich selber
bin Gott sei Dank noch bei bester Gesundheit und haben mir
die Strapazen des Feldzugs noch nichts angehabt. |
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