St.
Mihiel, den 1. Nov. 1914
Geehrter
Herr Pfarrer!
Ihr wertes
Paketchen habe ich gestern abend erhalten. Ich freute mich
sehr darüber, wie es mir immer große Freude macht,
von daheim etwas zu hören und ich danke Ihnen sehr, daß
Sie mir alles so schön von meinen l. Kameraden geschrieben
haben. Die den Heldentod gestorben sind, wußte ich schon,
aber die Verwundeten wußte ich nicht alle.
Wir sind immer noch in unserem alten Quartier bei St. Mihiel,
freilich ein gefährliches. Während ich Ihnen diese
Zeilen schreibe, kreischen draußen in nächster
Nähe die einschlagenden Granaten und es ist nicht ausgeschlossen,
daß nicht auch wiedereinmal zu uns so ein Ungeheuer
herein kommt. Doch haben wir keine Furcht mehr davor, stehen
wir jetzt doch schon bereits sechs Wochen Tag und Nacht im
Artilleriefeuer und haben schon oft gemeint, wir sind alle
verloren. Hat doch der liebe Gott seine schützende Vaterhand
über uns ausgehalten, so daß noch nicht viel Unglück
bei meiner Batterie passiert ist.
Wir haben
seit Beginn des Krieges fünf l. Kameraden verloren, und
wenige
sind leicht verwundet, im Verhältnis zu anderen Batterien
nicht viel. Vertrauen wir auch weiterhin auf den Schutz unseres
Gottes. Heute vor acht Tagen hatten wir Gottesdienst in der
Kirche von St. Mihiel bei dem Donner der Geschütze. Die
Kirche selbst war ein Bild des Krieges. Die schön gemalten
Fenster, alles zerschossen und zersprungen, oben durch das
Gewölbe ein großes Loch von einer Granate, welche
erst auf dem mittleren Gang krepiert ist und hat das Pflaster
aufgerissen. Von einigen Heiligenbildern waren die Köpfe
abgerissen. Die ganze Kirche machte einen traurigen Eindruck.
Ich will offen gestehen, ich war noch nie mit einem solchen
Gefühl der Dankbarkeit und Erkenntnis Gottes in der Kirche
wie hier. Es istherzergreifend, hunderte von braven Soldaten
versammelt zu sehen, um ihren lieben Gott zu bitten um weiteren
Schutz und Beistand.
Unser Feldprediger hielt eine kräftige Ansprache an uns
über (den) 121. Psalm. Unser Anfangslied: Ach bleib mit
deiner Gnade. Unser Schlußlied: Mir nach spricht Christusunser
Held. Wir gingen alle innerlich gestärkt und mit frischem
Mut wieder in den Dienst fürs Vaterland.
Von den
guten Zigarren haben wir uns gleich gestern abend noch eine
angesteckt, ich und mein treuer Kamerad Konrad Schuster von
Hagenhofen bei Markt Erlbach. Sie kennen ihn wohl auch persönlich,
wenn Sie sich erinnern können. Er hat vor einem Jahr
bei Herrn Schmeißer in Martk Erlbach gedient. Er hat
Herrn Dekan öfters gefahren. Er hat sich vier Wochen
vor dem Krieg verheiratet. Ich soll Ihnen, lieber Herr Pfarrer,
auch einen schönen Gruß von ihm schreiben.
Ich selber bin noch bei bester Gesundheit und geht mir weiter
nichts ab als die Lieben daheim.
Die herzlichsten Grüße
Hans Wening
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