8. Dezember 1914 Feldpostkarte von Leonhard Enzner
 
 
 
 
 
     
 
         
   

Avion d. 8. Dezember 1914

Werter Herr Pfarrer

Schon eine lange Zeit ist verflossen, daß ich von Ihnen geschieden (bin) und wir noch Gott sei Dank bisher (alles) glücklich überstanden haben. Gott hat uns nicht verlassen in dieser schweren Zeit. Die Erfahrungen habens gelehrt, auch manchem, der vielleicht zuvor keinen Gott gebraucht hat, dem sind auch vielleicht schon manchmal andere Gedanken gekommen, und vielleicht glaubt mancher, der zuvor nichts geglaubt (hat), daß es doch ein höheres Wesen als wir Menschen gibt.

Lieber Herr Pfarrer, ich denke, es hat so kommen müssen, denn die Leute waren selbst klug genug. Nach Gott und Kirche überhaupt hatten viele nicht mehr gefragt. Sie haben ja alles genug. Sie brauchen keinen Gott. Aber jetzt, der Große wie der Kleine, es gibt keinen Unterschied, muß jeder den einen Weg gehen, vom Leben in den Tod. Man ist ja keine Minute sicher. Wenn es Gottes Wille wäre, könnten wir vielleicht wieder in unseren lieben Familienkreisen miteinander die Kiche besuchen. O wie glücklich und zufrieden wollten wir sein, denn wir sehnen uns alle nach einem baldigen Frieden.

Werter Herr Pfarrer, meine Ereignisse will ich Ihnen kurz schildern. Wir sind in Avion ("Abion") in Quartier. Immer zwei Tage kommen wir dann in (die) Schützengräben vor bei Carency ("Carosi"), sind schon vier Wochen in einer Stellung. (In) Avion ("Abion"), ein Städtchen wie Zirndorf, sind lauter Arbeiter. Es gibt sehr große Kohlebergwerke. Zivilbewohner sind hier sehr viele, (sie) sind sehr anständig gegen uns. Sie waschen und flicken um ein kleines Trinkgeld. Eines ist, daß man sich nicht miteinander verständigen kann mit den Leuten. Einige Wörter kann man ja verstehen.

Werter Herr Pfarrer, ich danke Ihnen bestens für Ihre schönen, trostreichen Blätter, die Sie mir durch meine Frau schon übermittelt haben. Auch habe ich schon zweimal das Sonntagsblatt erhalten, das ich öfters lese, wenn wir im Schützengraben sind. Verzeihens die schlechte Schrift, es ging halt in der Eile.

Hochachtungsvoll
Leonhard Enzner
Wir hoffen mit Gottes Hilfe (auf) ein baldiges Ende.

   
         
 
     
 
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