|
|
Im Felde, den 31. Dezember 1915
Sehr geehrter
Herr Pfarrer!
Will Ihnen
hier in Kürze schildern, wie wir hier fern von der lieben
teuren Heimat und unsern Lieben Weihnachten gefeiert haben.
Sind wir in Quartier, ist unsre Behausung in einer Bretterhütte
in einem zerschossenen Flecken Nordfrankreichs. Als wir da
am heilig Abend um 3 Uhr von der Stellung zurückkamen,
dahin sind 1 ½ Stunden, war auch schon unser Christbaum
geschmückt, um 5 Uhr war Gottesdienst für Protestanten,
statt lieblichen Glockenklang donnerten dazu die Kanonen,
der Gottesdienst findet in einem bombensicher hergerichteten
Weinkeller statt, ein hölzerner Altar, auch ein Christbaum
strahlte, nach dem Liede: “Vom Himmel hoch da komm ich
her“ Ansprache des Feldgeistlichen und zum Schluß
mit dem Liede: „O du selige, o du fröhliche“
schloß die Feier. Als wir wieder ins Quartier kamen
war Christbescherung der Kompanie. Unser Leutnant hielt eine
sehr schöne Rede, jeder erhielt ein Geschenk und zum
Schluß erschallte: „Stille Nacht, heilige Nacht“
durch unsern düsteren Raum. Stille Nacht, in der von
den alten Kriegern, die das zweite Weihnachtsfest im Felde
feierten, glaubten auch eine solche zu erwarten, hatten uns
aber schwer getäuscht. Kaum hatten wir uns auf unsere
Sandsäcke gelegt, da ging es los. Schlag auf Schlag in
unser Dorf, daß die Erde bebte. Wir gingen schnell aus
der Baracke, ein Aufblick zum Himmel, ein stilles Gebet, jeder
glaubte und befürchtete alarmiert zu werden. Da ließ
es allmählich etwas nach. Wir gingen zurück, hatten
nur einen leicht Verwundeten. Als nachher noch einige Treffer
ganz nahe an unsrer Baracke niederfielen und ich zu meinem
Kameraden fragte, wollen wir wieder gehen, da sprach er wollen
uns nur legen, da schlägt keine herein, hab gerade den
91. Psalm gelesen, Gott ist mit uns.
Am ersten Feiertag hatten wir Rasttag um 11 Uhr war wieder
Gottesdienst. Am zweiten Feiertag hatten wir wieder Dienst.
So verging bei uns vor dem Feinde das heilige Weihnachtsfest
und sind mit dem heutigen Tage am Jahresende angelangt. Heut
Abend 7 Uhr ist auch bei uns Silvestergottesdienst. So tobt
der Krieg hinein ins neue Jahr und tausend bange Fragen und
Sorgen gehen mit hinüber, wird’s uns Frieden bringen
werden, wir ihn überhaupt erleben und gesund in die liebe
Heimat zu unsern treuen Lieben ziehen können? Doch mit
Gott, vorwärts er wird auch ferner mit uns sein ihn allein
wollen wir vertrauen er weiß was für uns gut ist.
Sein Wille geschehe. Soeben auch Ihr sehr wertes Paket erhalten,
danke vielmals. Es grüßt Sie freundlichst nebst
Ihrer werten Familie
Friedrich Piereth
Auf Wiedersehn
|
|
|