Bruchsal
i/ Baden, 24. 3. 1917.
Sehr geehrter Herr
Pfarrer!
Ihren lieben Brief
mit freundlichen Wünschen erhielt ich hocherfreut diesen
Morgen. Besten Dank für das ausgiebige Gedenken sowie
die wichtigen Nachrichten. Ja, der Krieg ist eigenartig vorläufig
mit mir umgesprungen. Abgesehen von zeitweisen Unzuträglichkeiten,
die mir früher meine empfindliche rechte Leistenseite
zufügte, glaubte ich beim Arm.–Btll. doch den Dienst
bestehen zu können. Nach den traurigen Mitteilungen über
das unerwartete Schicksal meines Truppenteils, besonders auch
der 2. Kompagnie, kann ich den Himmel nicht genug loben für
die gütige Bewahrung durch nötig gewordenen Lazarettbehandlung.
Nach schlechten
Quartierverhältnissen in Bayern fuhren wir alle am 6.
3. nachmittags ½ 3 Uhr wohlgemut und voll Zuversicht
unter viel Gesang dem Westen zu, nachdem wir bis zuletzt mit
Rumänien rechneten. In Ansbach kamen wir nachts 10 Uhr
an. Zwischen 5 und 6 Uhr wurden wir in Heilbronn a/ Neckar
ausreichend verpflegt. Bald befiel mich in meiner rechten
Leistenseite ein derartiger Schmerz, daß ich nachts
gelb wurde und vergehen zu müssen glaubte. Ich krümmte
mich wie ein Wurm, um die in dem seit langem bestehenden Narbenriß
eingetretene Klemmung zurückzubringen. Vergeblich. Arzt
in Bretten verfügte sofortige Ausladung in Bruchsal und
ordnete umgehende Operation, die 2. seit 1906, an. Nun ist
sie glücklich schon 17 Tage vorüber und die Genesung
schreitet rasch vorwärts. Ich fühle mich so befreit,
daß ich das eigene Gefühl gar nicht zu schildern
vermag.
Das mir widerfahrene
jähe Mißgeschick brachte mich außer Lebensgefahr
und verhilft mir 2. zur billigen Wiedergewinnung meiner Gesundheit,
die mehr als ausreichend ist zur Ausübung meines schönen
Lehrerberufes. Wegen der guten Heilung ist es noch eine sehr
strittige Frage, ob man mich nach Entlassung von hier meinem
Hirschneuses frank und frei wieder zueilen läßt.
Nach Äußerung unsers verantwortlichen Arztes bin
ich nach Wiederherstellung nicht militärisch untauglich
sondern meine militärische Leistungsfähigkeit ist
nur beschränkt. Hiesiger und seinerzeitiger Arzt in Bayern
haben es in der Hand, mir zur Entlassung zu verhelfen oder
noch zu Deutschlands Hoffnung zu rechnen. Zu gegebener Zeit,
wenn wieder über meine Tauglichkeit einmal entschieden
ist, „g. v. H.“ erwünscht, werde ich mich
schon um mein Leben rühren.
Wo ich die Ostern
verbringe, ist noch unbestimmt, vielleicht hier oder in Bayern,
am liebsten zu Hause als Erholungsurlaubsbedürftiger.
Unser Herr Pfarrer läßt ja mit sich reden. Seit
Sonntag bin ich wieder außer dem Bette und Frau ist
seit Montagnachmittag wieder nach Sauch. entschwunden. Meine
Leute müssen sich an die Trennung noch besser gewöhnen,
denn noch ist keine Entscheidung gefallen.
Wir sind erträglich
und auskömmlich untergebracht und bunt zusammengewürfelt,
19 – 45jährig, meist Leichtkranke, meist Stockbadenser.
Wärter und kath. Schwestern bilden das Pflegepersonal.
Mit Hirschneueses befinde ich mich in lebhafter Korrespondenz.
So habe ich wenig Langeweile, muß ich doch viel schreiben.
Im Geiste weile ich gern in der Heimat.
Hat die Regierung
für Wohnungsstellung an Verwesung schon die monatlichen
10 M(ark) Mietsentschädigung bewilligt? Im Neinfalle
bitte ich Sie um frische Antragsstellung.
Seit heute früh
haben wir wieder den schönsten Winter im Frühling:
Schnee. Da geht’s mit der Gärtnerei auch langsam.
Wer ist der Wilhelm Beuler, der einrücken muß?
Zur Prüfung
am 27. 3. bitte ich den anwesenden Herren Grüße
bestellen zu wollen wie auch den Kindern, die hoffentlich
ihren Mann stellen. Nochmals für Ihr freundliches Gedenken
bestens dankend, grüßt Sie nebst Familie vielmals
Ihr ergebener Lehrer Jakob Weiß.
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