Hochehrwürdiger
Herr Pfarrer!
Habe gestern
Abend von Ihnen 2 Briefe vom 20. Juli und 30. August zu meiner
großen Freude erhalten. Nachdem ich fast 8 Wochen jeder
Nachricht von der Heimat entbehren mußte, ist es für
mich desto größere Freude, die Briefe jetzt doppelt
zu erhalten.
Was meine
Ruhrkrankheit anbelangt, so ist dieselbe Gott sei Dank soweit
gehoben, jedoch werde ich jetzt auf meine Nerven behandelt.
Es ist das ein Leiden, das ich schon lange an mir habe, das
früher die Ärzte als von H u Haus aus bezeichneten
und das der hiesige Arzt als „Allgemeine Nervenschwäche“
konstatierte. Als ich vorige Woche von meiner Frau ein Telegramm
erhielt, um der Beerdigung der Marg. Zoll beizuwohnen und
dieses dem Arzt vorlegte, erklärte er mir gegenüber,
daß er mich als geheilt nicht entlassen kann, ich müßte
also nach der Beerdigung wieder nach Treuenbrietzen zurückkehren
und die Fahrtkosten – die sich ziemlich hoch belaufen
hätten, da ich hätte Schnellzug benützen müssen
– selbst tragen müssen. Ich bin deshalb davon abgestanden.
Weiter sagte er mir, daß ich zur Beobachtung in eine
Nervenheilanstalt nach Berlin müßte, und er riet
mir ein Gesuch machen zu lassen, damit ich in ein Heimatlazarett
verlegt würde, was ich auch tat, und so werde ich voraussichtlich
in den nächsten Tagen nach Nürnberg verlegt werden.
Ich hoffe von dort aus Urlaub zu bekommen und freue mich schon
darauf, mit den Meinigen wieder in Verbindung zu kommen.
Leider
habe ich Ihrem Briefe entnommen, daß nun auch Kirchfarrnbach
zweier Glocken beraubt werden soll. Es ist wohl eines der
schönsten Geläute in der ganzen Umgegend und ich
selbst ergötze mich jedes Mal an seinem harmonischen
Klang. Die Folgen des schrecklichen Krieges erstrecken sich
immer weiter und wer weiß, was wir noch durchzumachen
haben.
Ich muß
leider gestehen, daß die Stimmung der Soldaten an der
Front eine immer schlechtere wird. Ich redete in den Lazaretten
mit Bayern, Württembergern, Sachsen und Preußen,
die von verschiedenen Fronten herkamen, und alle sind derselben
Meinung, sie glauben an keinen Endsiege Deutschlands mehr.
Während
der Feind immer wieder frische Truppen in den Kampf hineinwirft,
sagen sie, sind Deutschlands Reserven bereits verbraucht und
das entmutigt sie. Der Feind zieht den Krieg in die Länge
und das ist unser Untergang. Möge uns Gott vor solchem
Ausgang des Krieges bewahren. Freilich, wenn ich über
das nachdenke, wie das Land der Franzosen so schrecklich verwüstet
ist, wie es Jahrzehnte lang brauchen wird, es wieder in Stand
zu setzen, so muß ich sagen, der Franzmann kann uns
nie nimmer mehr gut gesinnt werden. Die Lage selbst zu beschreiben
ist unmöglich, es kann’s nur der fassen der’s
mit leiblichen Augen sieht.
Die Arbeit,
die ich verrichten mußte, war mir oft widerwärtig,
indem ich oft die schönsten Bäume absägen mußte,
Bäume, deren Schönheit man in Deutschland kaum sieht,
nur der Äste wegen, die zu Straßenbauten in sumpfiger
Gegend verwendet wurden.
Aber es
ist eben Krieg und da gibt’s keine Schonung.
Ferner
schreiben Sie mir, daß Hirschneuses jüngst von
einem schweren Brandunglück heimgesucht wurde. Die Betreffenden
sind sehr zu bedauern und ich selbst kann ihren Schmerz mitfühlen,
da ich ebenfalls schon von diesem Unglück betroffen wurde.
Aber angesichts des Krieges ist das nur ein kleiner Bruchstrich,
der sich leicht ausbessern läßt. –
Weiter
schreiben Sie in Ihrem werten Briefe, daß ich werde
manche Schön- und Sehenswürdigkeiten in Feindes-
wie im Heimatland gesehen habe und so will ich Ihnen nur meine
Herfahrt von Maubeuge bis hieher nach Treuenbrietzen beschreiben,
denn alles zu beschreiben brächte ich ein ganzes Buch
voll.
Am 21.
August abends 7 Uhr fuhren wir in Maubeuge ab. Das Wetter
war sehr schön, der Mond stark im Zunehmen und wir fürchteten,
des Nachts von Fliegern heimgesucht zu werden, was sich jedoch
nicht bestätigte. Beim Mondschein durchfuhren wir Belgien,
das durch seine Bodenbeschaffenheit höchst fruchtbar
ist, aber auch die Industrie steht auf höchster Blüte,
natürlich jetzt unter deutschem Betrieb. Hie und da sieht
man auch große Bergwerke. Auffallend waren mir hier
die großen Viehherden, die des Tags wie nachts auf der
Weide sind. Ich glaubte, da es nachts ziemlich kühl war,
die Rinder müßten alle krank werden.
Gegen
Morgen fuhren wir ziemlich der Grenze zu, die Landschaft wurde
gebirgig, die Bahn mußte sich durch Tunnells und Schluchten
sozusagen hindurchwinden und auch, als wir über die Grenze
kamen, ging dasselbe Bild weiter. Aber welche Lust sich in
eines jeden Brust rührte als es hieß, wir sind
jetzt in Deutschlands Fluren, das kann ich Ihnen nicht beschreiben.
Wir wurden
öfter verpflegt, aber die Verpflegung … ließ
während der Fahrt viel zu wünschen übrig, besonders
mußten wir, da es sehr heiß war, viel Durst leiden.
Die Fahrt ging weiter, keiner hatte eine Karte, keiner wußte
wohin. Gegen Abend kamen wir wieder in schönere Gegenden
– es mochte das Argebiet gewesen sein, ich las in den
Stationen die Namen Steurmar(?), Arnweiler(?) u. s. w. eine
sehr schöne Gegend, große Obstzüchtungen und
an den Abhängen Wein. Wir hofften, hier in ein Lazarett
zu kommen, aber wir sollten eines anderen belehrt werden.
Der Zug fuhr fast durch alle Stationen durch, ohne zu halten.
Abends, es mochte 10 Uhr gewesen sein, erreichten wir Koblenz.
Nie werde ich den Anblick vergessen, den ich hier vernahm.
Der Vollmond war bereits aufgegangen, die Wellen des Rheins
glitzerten wie von Gold, ein Dampfer am andern, ganz neue,
von schöner Bauart, elektrisch beleuchtet. So viele Fahrzeuge
ich in Frankreich zu sehen bekam, den deutschen gegenüber
müssen sie zurücktreten, wie überhaupt jegliche
Bauart in Frankreich, Deutschland gegenüber im Rückstand
ist.
Die Fahrt
ging weiter, ich hoffte, wir würden den Rhein entlang
fahren meiner Heimat zu, aber es kam anders. Ich bemerkte
bald, daß wir auf eine Seitenlinie abbiegen, wir kamen
ins Hessische, über Gießen, Marburg und erreichten
nachmittags 3 Uhr Kassel. Wir hofften jetzt am Ziel zu sein,
aber es hieß Halle wäre es, über 100 km von
Kassel entfernt. Ich dachte bis Abend werden wir dasselbe
erreichen, um wenigstens die dritte Nacht schlafen zu können.
Aber auch das sollte nicht erfüllt werden. Wohl erreichten
wir abends Halle a/S. aber der Zug fuhr nach wenig Aufenthalt
weiter, die Kameraden hatten sämtlichen Fußboden
belegt und schliefen und so entschloß ich mich, auch
die dritte Nacht, wenn auch bisweilen stark vom Schlaf geplagt,
noch am Fenster zu sitzen, die Natur betrachtend.
Wir durchfuhren
Eisleben und erreichten nachts 1 Uhr Wittenberg. Mir fiel
Luthers Leben und Wirken ein. Um 1/2 3 Uhr waren wir in Jüterbog,
wo der Zug hielt. 3 Wagen wurden ausgeladen unter denen auch
ich mich befand. Die anderen fuhren weiter, wer weiß
wohin. Wir wurden dann in den Wartesaal kommandiert, wo wir
uns eine Tasse Kaffee kauften. Jetzt übermannte mich
der Schlaf. Der Länge nach, den Kopf aufs Gepäck
zurückgelegt, legte ich mich auf den Fußboden hin
und schlief wie zu Hause im Federbett.
Aber nur
kurze Zeit, um 5 Uhr wurde ich schon wieder geweckt, wir mußten,
zu meinem Bedauern, wieder einsteigen. Der Zug fuhr auf einer
andern Linie, fast entgegengesetzt, wie wir herfuhren, bis
hieher zur Anstalt Treuenbrietzen, wo wir um 7 Uhr ankamen.
Wir bekamen Kaffee und suchten natürlich gleich unser
Lager auf. Aber auch hier gönnte ich mir nicht lange
Ruhe. Ich stand auf, um an meine Familie zu schreiben, ich
wollte unbedingt Nachricht von zu Hause, die ich so lange
vermißte. Die Verpflegung ist hier, wenn auch etwas
knapp, sehr gut und es hat sich nicht bestätigt, daß,
falls wir in ein preußisches Lazarett kommen sollten,
es in dieser Hinsicht, sehr schlecht sei. Die Anstalt besteht
aus der Alten 1913 erbaut und der Neuen 1915 erbaut, zwecks
Erziehungsanstalt und wird jetzt im Kriege als Lazarett verwendet.
In der
alten Anstalt, wo ich bin, sind 101 Mann, werden aber alle
Tage weniger, die Neue dagegen, die ungefähr 200 m von
der Alten entfernt ist, beherbergt 500 Mann. Dort sind meist
Lungenkranke. Ein großer Saal, der Speisesaal genannt,
wo eben gegessen wird, dient auch als Betsaal. Hier werden
jeden Dienstagabend und auch sonntags Bet- und Gottesdienste
abgehalten von einem Pfarrer in Treuenbrietzen. Einmal in
der Woche auch für Katholiken. Auffällig war mir,
daß hier unsere Gesangbuchlieder in anderer Melodie
gesungen werden als bei uns in Bayern. Zum ersten Mal wohnte
ich hier auch einer katholischen Andacht bei. Auch zu Vorträgen
wird der Saal verwendet. Eine Glocke, die oben hängt,
verkündet den Beginn jeder Veranstaltung. Auch zum Essen
ruft sie und mit Freuden hören wir ihren Schlag. Die
Anstalt selbst betreibt nebenbei Landwirtschaft und bringt
ihre Nahrungsmittel meist selbst auf. Sie hat 7 Pferde, 14
Kühe, 9 Stück Jungrinder, 16 Schweine, eine größere
Anzahl Kaninchen und nebenbei große Gärten zum
Gemüse. Jedoch muß ich nebenbei bemerken, daß
wenn ich zu Hause meine Landwirtschaft so bewirtschaften täte,
wie hier, ich in 2 Jahren fertig wäre. Ich selbst habe
gestern helf(en) gemäht, und um Einblick haben zu können
und der Inspektor wollte durchaus ich sollte weiter helfen,
da ich überall fachkundig bin, aber ich sagte ihm, ich
will durchaus kein Geld verdienen, sondern wie gewirtschaftet
wird, wollte ich wissen. Wir hatten eine längere Unterredung
darüber. Ich denke nächsten Dienstag hier wegzukommen,
so oft der Arzt früh an mir vorbeigeht, sagt er: „Kamm
wird verlegt“ und untersucht mich nicht weiter. Ich
habe also Hoffnung, bald in die Nähe der Heimat zu kommen
und freue mich von Herzen darauf. Kurze Zeit war ich im Feld,
aber gelernt hab ich viel.
Ich habe
mir gelobt, falls ich gesund das Ende des Krieges erleben
sollte, nur in Frieden und Eintracht zu leben, und ich werde
alles meiden, was mir den häuslichen Frieden stören
sollte, denn dieser Reichtum ist mir lieber als Geld und Ansehen.
Ich habe es meiner Frau schon oft geschrieben, sie möge
über nichts murren, was auch Widerwärtiges kommen
möge, sie kann in Ruhe und Frieden schlafen und angesichts
des Krieges ist das genug. Ja alle Unfriedensstifter möchte
ich an die Front wünschen, hier würden sie lernen
und das Maul halten.
Doch genug
jetzt damit, ich will keines Menschen Richter sein. Ich habe
etwas klein geschrieben und Sie werden vielleicht längere
Zeit brauchen, bis Sie ihn lesen, doch werden Sie, glaube
ich, nicht so lang brauchen, als ich mit den Ihrigen, ich
brauchte eine volle Stunde, ich hab ja Zeit dazu. Nun seien
Sie zum Schlusse herzlich gegrüßt nebst Ihrer werden
Familie, auch Lehrer Mich. Krauß.