Kirchfarrnbach mit Hirschneuses

Im Stall hat sie gebetet - die Frau, die unsere Dörfer um Kirchfarrnbach kennt wie kaum ein anderer.

Sie kennt sie gewiß besser als mancher Pfarrer, der im stattlichen Pfarrhaus von Kirchfarrnbach je seinen Einzug gehalten hat. Im Stall hat sie gebetet, die „Stradtnerin“, die Dorfhebamme, die hier bis 1970 rund vierzig Jahre ihren Dienst getan hat. Sie wollte die Leute nicht unnötig in Aufregung versetzen. „Was hätten die denn gedacht, wenn sie die Hebamme im Geburtszimmer hätten beten sehen?“ Nach der glücklichen Entbindung ging das schon eher. „Da habe ich den Frauen das Gesangbuch in die Hand gedrückt und mit ihnen gesungen: 'Was unser Gott erschaffen hat, das will er auch erhalten, darüber will er früh und spat mit seiner Güte walten.’“ Bei uns ist die „Stradtnerin“ noch überall ein Begriff. Es gibt wohl auch kein Haus in unserer Gemeinde, in dem sie nicht mindestens einmal gewesen ist. Sie kam nicht nur zur Entbindung; sie war den Kleinen Säuglings- und Kinderschwester und den Großen nicht selten auch Seelenärztin.

Die Kirche ist im Dorf geblieben, aber zum Doktor müssen die Leute aus dem Dorf heraus.

Die vielgepriesene dörfliche Einheit ist nicht mehr, auch wenn hier beinahe jeder noch jeden kennt. Die Kinder werden frühmorgens mit dem Bus aus dem Dorf gebracht, die Männer arbeiten untertags in der Stadt, und die Jugend trifft sich außerhalb zum Tanzen. Das Milchhaus, das Wirtshaus und das Gotteshaus - das sind die verbliebenen Orte der Gemeinsamkeit. So nimmt es nicht wunder, daß der sonntägliche Kirchgang hier für manche Familie noch zur guten Tradition gehört. Aus sieben Dörfern trifft man sich am Sonntagmorgen im Gottesdienst: aus Kirchfarrnbach, Oberndorf und Kreben, aus Dippoldsberg und Altkatterbach, aus Meiersberg und Dürrnfarrnbach. Nur die Hirschneuseser kommen selten zum Gottesdienst nach Kirchfarrnbach - sie haben ihr eigenes, kunsthistorisch reizvolles Kirchlein, in dem sie einmal im Monat ihren eigenen Gottesdienst feiern. Die kleine Kirche in Hirschneuses mit ihrem kostbaren gotischen Schreinaltar wirkt auf den auswärtigen Besucher recht anheimelnd - doch für den Pfarrers und mehr noch für die Pfarrerskinder ist auch hier ein gemütvolles Stück Tradition unwiederbringlich dahin. Kirchfarrnbachs berühmtester Pfarrerssohn, der 1984 verstorbene frühere Landesbischof Hermann Dietzfelbinger, schreibt in seinen Erinnerungen: „Weil der Vater nach Hirschneuses mit der Pferdekutsche gefahren wurde, war es für uns Kinder oft ein besonderes Vergnügen, ihm am Nachmittag entgegenzugehen und in der Kutsche mit nach Hause fahren zu dürfen.“

Noch sind einige der Traditionen, die Hermann Dietzfelbinger aus seiner Kirchfarrnbacher Kindheit erzählt, lebendig. Bei der Hochzeit muß der Bräutigam wie eh und je „Kleingeld unter die Jugend“ werfen, und an Beerdigungen singen der Männerchor und die Singgruppe die “alten gefühlvollen Lieder“. Doch daß Pfarrhaus und Kirche noch den „natürlichen Mittelpunkt des Dorfes“ bildeten, wie es vor siebzig Jahren war, kann man nicht mehr ohne weiteres behaupten. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Kirche auch in Zukunft Gemeinschaft verspricht und geistige Heimat bietet, wo Heimat rundum verloren zu gehen droht. Daß es in und um die Kirche herum nicht nur schwarz, brav und bieder zugehen soll, das hat uns Hermann Dietzfelbinger ins Stammbuch geschrieben: „Wir Kinder benutzten Friedhof und Kirche an Werktagen und am Sonntag vor dem Gottesdienst auch zum Versteckspielen; es gehörte eben alles zusammen, das Spiel und der Ernst, der Gottesdienst in der Kirche und das Leben um die Kirche herum.“

Uli Hubel

   
         
      aus: Evang.-Luth. Dekanat Neustadt an der Aisch, Porträt eines Dekanatsbezirks, Verlag der Ev. - Luth. Mission Erlangen 1986, Seite 129 f.
zurück zum Verzeichnis "Heimatgeschichtliches Lesebuch"