Aus der Schulgeschichte des Pfarrsprengels
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Erinnerungen an die Kirchfarrnbacher Schulzeit von Georg Enzner (3)
     
     
Ich steckte meine Nase in das Buch und kriegte sie kaum noch heraus. Jede freie Minute, die ich hatte, las ich in dem Buch, zu Hause, am Sonntag, am Werktag und auch in der Schule. Ich saß ja in dem Schulsaal ziemlich weit hinten. Immer wenn der Lehrer im Mittelgang zwischen den Bänken auf und ab ging und mir den Rücken zukehrte, verschwand ich für einige Minuten unter der Bank, um mich in mein Realien-Buch zu vertiefen. So ging das eine gute Zeit.

Eines Tages unterrichtete uns der Lehrer in Erdkunde und befahl uns, dass wir uns nach vorne in die niedrigen Bänke der ersten Klasse zwängen mussten, um auf der großen Landkarte die Städte und Flüsse richtig zu sehen. Da mir das schon ziemlich langweilig erschien, nahm ich bei diesem Umzug mein Realien-Buch mit, setzte mich in die hinterste Reihe, ganz außen in der Nähe vom Ofen.

Der Lehrer dozierte lang und breit und da ich einen guten Vordermann hatte, der mich deckte, konnte ich mein Realien-Buch unter der Bank ganz schön studieren. Auf einmal unterbricht der Lehrer seinen Vortrag, ist mit ein paar Schritten bei mir und herrscht mich an: "Was machst du da?“ Ich ziehe schuldbewusst mein Realien-Buch unter der Bank hervor, reiche es ihm und sage: "Ich hab’ darin gelesen.“ Da konnte er doch ein Schmunzeln nicht unterdrücken, wandte sich schnell wieder nach vorne und sagte nur im Umdrehen: "Mach’s zu!“ Da merkte ich, dass er um dieses Realien-Buch wusste. Nachdem ich entdeckt war, habe ich mein Studium im Realien-Buch nur noch zu Hause fortgeführt.


Schlecht singen, dafür aber dichten

Das Singen in der Schule war ein besonderes Problem. Unser Lehrer hieß zwar im Dorf gewöhnlich Kantor, das heißt Sänger oder Vorsänger. Er dirigierte auch den Schülerchor, der bei Beerdigungen auf dem Friedhof zu singen hatte, aber ich habe ihn nie einmal singen hören.

Lehrer werden Niemals!

Eines Tages kommt der Herr Lehrer an meinen Platz und sagt leise zu mir: "Georg, du könntest dich doch zum Erich hinsetzen und ihm etwas behilflich sein und ihn beaufsichtigen, wenn er sich jetzt auf die Prüfung an der Lehrerbildungsanstalt in Bayreuth vorbereitet.“ Gerne war ich dazu bereit. Ich wechselte also meinen Platz von hinten in einen Mittelplatz neben Erich, den Lehrersohn. Erich rechnete fleißig und ich hatte nur nachzusehen, dass er zu keinem falschen Ergebnis kam. Das war auch eine sehr schöne Art von Volksschule für mich. Erich arbeitete und

 

ich schaute zu und ließ meine Gedanken irgendwo spazieren gehen, vielleicht auch bei dem, was ich zuletzt im Realien-Buch gelesen hatte. So war ich beinah bis zum Ende der letzten Volksschulklasse Hilfslehrer geworden ohne mein Zutun.


Übergangsschulen von Staat und Kirche

Mit der Entlassung aus der Volksschule und mit der Konfirmation war der Übergang aus der Kindheit in den Stand der Jugend verbunden. Doch schien dieser Übergang so groß und auch schwierig, dass Staat und Kirche gewisse Zeiten festlegten, um einen allmählichen Übergang zu erreichen. So wurden den Jugendlichen gewisse Verpflichtungen auferlegt, die sie noch einige Jahre erfüllen mussten, bevor sie alle Rechte und Freiheiten eines Erwachsenen in Anspruch nehmen konnten.

Der Staat verlängerte die Schulpflicht um zwei oder drei Jahre durch die Landwirtschaftliche Berufsschule. Sie fand nicht während der Woche statt, sondern beschränkte sich auf etwa eineinhalb bis zwei Stunden Unterricht am Sonntagvormittag im Schulhaus. Die Landwirtschaftliche Berufsschule wurde vom Herrn Lehrer gehalten, der auch an der Volksschule unterrichtet hatte. Ein halbes Jahr lang habe ich diese Berufsschule genossen, wegen des Termins am Sonntag auch Sonntagsschule genannt. Ich kann mich nicht erinnern, dabei etwas gehört zu haben, was ich nicht schon längst wusste. Die Berufsschule wurde einfach abgesessen, weil der Staat es so wollte, aber ohne erkennbaren Nutzen und Sinn. Vielleicht erging es dem Lehrer ähnlich.

Etwas anderes, aber nicht viel anders, verlangte die Kirche parallel zur Sonntagsschule, nämlich die Christenlehre. Sie fand in der Kirche statt, auch in Gegenwart von Gemeindegliedern, die, hinter den Christenlehreschülern sitzend, ebenfalls als Zuhörer und eventuell als Mitwirkende teilnahmen. Die Zeit war am frühen Nachmittag zwischen dreizehn und vierzehn Uhr. Dabei wurden die Zehn Gebote aus Luthers Kleinem Katechismus wiederholt. Sie wurden einzeln als Hausaufgaben aufgegeben und mussten jedes Mal in der Kirche auswendig aufgesagt werden. Anschließend wurden sie dann in einem freien Unterrichtsgespräch besprochen und erklärt. Wenn einer von uns im Frage- und Antwortspiel des Unterrichtsgesprächs versagte, sprangen die Erwachsenen ein, die hinter uns saßen. Diese Nachhilfe habe ich zwar nie in Anspruch nehmen müssen, aber die anwesenden Erwachsenen und ihre Kritik nach der Christenlehre gaben dieser Unterrichtsstunde doch etwas Würze.

   

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