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Schon
drei Monate nach meiner Geburt zogen die Eltern nach
Kirchfarrnbach, einem Pfarrort in der Nähe von
Fürth i. B., im Kerngebiet Mittelfrankens, zwischen
den Flüssen Zenn und Bibert, am Westhang des sich
von Cadolzburg herüberziehenden, reich bewaldeten
Dillenbergs gelegen. Die Kirchengemeinde besteht aus
einer Reihe von kleineren Orten. Neben der Hauptkirche
gibt es auch eine Filialkirche in dem etwa 4 km entfernten
Hirschneuses. Dort hatte der Vater alle vier Wochen
Gottesdienst zu halten. Weil er nach Hirschneuses mit
einer Pferdekutsche gefahren wurde, war es für
uns Kinder oft ein besonderes Vergnügen, ihm am
Nachmittag auf seiner Rückfahrt entgegenzugehen
und in der Kutsche mit nach Hause fahren zu dürfen.
In dem schönen Pfarrhaus, einem fränkischen
Fachwerkbau, verlebten wir in dem wachsenden Geschwisterkreis
- vor mir ein älterer Bruder, der bald starb, und
eine ältere Schwester, nach mir sechs jüngere
Geschwister - eine nicht unbeschwerte, aber reiche und
frohe Jugendzeit. Der einfache, sparsame Lebensstil
erschien uns wie selbstverständlich und wurde auch
von uns übernommen. Es war schon eine ganz besondere
Zugabe, wenn die Eltern - ein- oder zweimal im Jahr
- nach Fürth bzw. Nürnberg zum Einkaufen fuhren
und einige von uns Kindern mitnahmen. Da musste man
schon früh um halb vier Uhr aufstehen, um rechtzeitig
nach einer Stunde Fußmarsch zur Lokalbahnstation
Wilhermsdorf zu kommen. In Fürth fuhr der Vater
regelmäßig mit der etwas altersschwach gewordenen
"Ludwigs-Eisenbahn", der ältesten Eisenbahn
Deutschlands, nach Nürnberg; dort wurden wir Kinder
meist im "Panorama", einer Guckkasten-Einrichtung
mit schönen Landschaftsbildern abgesetzt, und die
Eltern konnten ihre Besorgungen machen. Ob wir, außer
gelegentlichen Besuchen des Tiergartens, noch viele
tiefere Eindrücke mitbekamen, weiß ich nicht:
einmal hatte mich, meinen Erzählungen zufolge,
anscheinend vor allem ein Schaufenster gefesselt mit
"Zöpfen, an denen keine Frauen dran waren".
Das
Leben in der Familie war durch eine einfache christliche
Hausordnung mit Morgen-, Tisch- und Abendgebet geordnet.
Von sonstigen Erziehungsgrundsätzen der Eltern
weiß ich wenig zu sagen. Wir wussten, dass sie
uns lieb hatten, auch wenn sie einmal streng gegen eines
der Kinder sein mussten. Im übrigen war ihnen anzumerken,
wie sie jedem einzelnen der Heranwachsenden gerecht
werden wollten. Kam es von da her, dass wir natürlich
oft Auseinandersetzungen miteinander hatten, aber verhältnismäßig
wenig ernsthaft miteinander stritten? Zu den Mahlzeiten
mussten wir pünktlich da sein, vor allem wenn der
Vater rief. Und wenn es abends dunkel wurde, brachen
wir auch die schönsten Spiele mit den Kameraden
auf der Dorfstraße ab; wir durften das abendliche
Gebetläuten doch nicht versäumen, bei dem
die Mutter betete: „Lieber Mensch, was soll's
bedeuten, dieses späte Glockenläuten? Es bedeutet
aber mal deines Lebens Ziel und Zahl." Die Mutter
konnte ja, wenn das Abendessen vorüber war, auch
so wunderbar erzählen, dass auch die Größeren
sich keine ihrer Geschichten entgehen ließen.
Auch wusste sie jede kleine Gelegenheit wie etwa einen
Geburtstag zu einem Familienfest auszugestalten und
mit ihrer großen dichterischen Gabe unvergesslich
zu beleben. Und das Weihnachtsfest wurde nicht nur für
die Gemeinde, sondern auch für uns Kinder liebevoll
und fröhlich mit Singen von Weihnachtsliedern,
mit Gaben und Geschenken ausgestaltet.
Unsere
Jugendjahre wurden besonders durch die Nachbarschaft
mit den Großeltern bereichert, die nur eine gute
Stunde entfernt in Dietenhofen lebten. Dort wirkte der
ehrwürdige Großvater Christian Nicol als
Pfarrer, und seine Frau Bertha, geb. Kelber, hielt ein
für die Enkelkinder sowie für zahlreiche Verwandte
und Bekannte allezeit offenes Haus. In den Jahren von
1908 bis 1925 ist wohl selten eine Woche vergangen,
in der nicht irgendein Besuch zwischen den beiden Familien
hin- und herwechselte, in freudevollen und in leidbeschwerten
Tagen. Wenn der Großvater mit dem Fahrrad von
Dietenhofen herüberkam, war es für uns Enkel
eine Ehre, ihm von der nahe gelegenen Farrnbach-Quelle
am Waldesrand frisches Trinkwasser zu holen. Dies sei
das beste Wasser in der ganzen Gegend, meinte er. Besser
war es jedenfalls als das Wasser aus unserem Pumpbrunnen
unterhalb des Pfarrhauses, das man mit Eimern und Bütten
in die Küche schleppen musste und in dem nicht
selten Schnecken und andere kleine Tiere zu finden waren.
Vor allem wurde jedes Fest in der ausgedehnten Familie
als Gelegenheit zu größeren Treffen benutzt,
und die schönen gemeinsamen Stunden, in denen der
Vater mit seiner guten Singstimme Balladen von Carl
Loewe wie den "Erlkönig" oder "Archibald
Douglas" sang und die verschiedenen Onkel Klavier
und Violine spielten, bildeten Höhepunkte auch
im Leben von uns Kindern.
Der inzwischen längst zugewachsene Fußweg
von Kirchfarrnbach nach Dietenhofen, der wahrscheinlich
nur von uns benützt wurde, die vier Wäldchen,
durch die er führte, samt dem Weg zwischen den
Weihern mit ihren Seerosen stehen ganz deutlich noch
vor mir. Vor allem war es die Wegstrecke über die
Heide mit den vielen Wacholderbüschen; am Tag sahen
sie gar nicht gefährlich aus und konnten nur ein
wenig stechen, aber wenn es dämmrig und dunkel
wurde, erschienen die Büsche den Kindern wie gespenstische,
räuberische Gestalten, und wir schlossen uns enger
an die Mutter an, die mit ihrem tapferen Gesang uns
und vielleicht auch sich selbst Mut zusprach. An die
Heide mit den Wacholderbüschen habe ich später
oft gedacht, wenn es um die Erklärung der großen
Christusbotschaft ging: „Gott hat die Gewalten
und Herrschaften ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich
zur Schau gestellt und einen Triumph aus ihnen gemacht
in Christus" (Kol 2,15). |
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