Die Fahrt zur Kirchfiliale!
von Dethardt Lauter
   
         
   

Eine Stunde Wagenfahrt entfernt lag eine Filiale des Pfarramtes. Alle Monate einmal hielt Vater dort Kirche. Dies war stets ein Fest für uns Kinder, denn die ganze Familie fuhr natürlich mit. Wir hatten einen riesigen Landauer dessen Oberdeck ganz mit Glasfenstern umgeben war, so hatte man frei Sich nach allen Seiten. Die Fahrt ging durch das Oberdorf, an Feldern, Wiesen und Teichen vorbei, dann durch das Dorf Kreben, ebenfalls zur Pfarre gehörig. Endlich durch einen dichten Wald , wieder durch Wiesen und Felder bis in die Filiale Hirschneuses. Dort fuhr der Wagen in den großen Hof des Gastwirts ein, in dessen ersten Stock neben dem großen Tanzsaal ein Herrenstübchen lag, in das der behäbige Wirt die Pfarrfamilie mit vielen Komplimenten hinaufbegleitete. Dort stand schon das Frühstück bereit und da es bei andern Leuten immer besser schmeck als zu Hause, langen wir tüchtig zu. Mittlerweile hatte sich der Gemeinde- und Kirchengemeinderat eingefunden und es ging in feierlichem Zuge in die nahe Kirche. Nach der Kirche hatte Vater alle möglichen Besprechungen und wir Kinder tollten mit anderen aus der Gemeinde in dem nahen Wäldchen herum. Dabei war es dann passiert.

Meine älteren Brüder hatten sich mit ihren Taschenmessern lange dünne Baumwurzeln abgeschnitten, die wunderbar durch die Luft pfiffen. Aber dabei blieb es nicht, sie gingen damit aufeinander los und ich , der ich dabei schlichten wollte, bekam natürlich wie stets in solchem Falle, als der lästige Dritte, die Prügel, d.h. sie probiertem die Wurzelpeitschen an meinen nackten Beinen. So lief ich heulend davon und, da ich die Mutter nicht fand, um mein tief verwundetes Herz auszuschütten, lief ich in meinem Trotz gleich weiter den ganzen Weg nach Hause. Ich wollte dadurch das väterliche Gericht auf sie herabbeschwören, wenn ich vermisst wurde. Falsch gerechnet! Die Brüder sagten Vater, ich sei ein Spielverderber und nur aus Trotz nach Hause gelaufen. Vater sage: „Geschieht ihm recht, was hat er nun davon, verdirbt sich den ganzen schönen Tag. So war es auch.

Erst ging es auf dem Heimweg noch, doch als ich erst halbwegs im Walde war, hörte ich ein entferntes Geheul, das mir schaurig in die Ohren klang. Alle Geschichten von streifenden, hungernden Wölfen, die uns die gute Helene erzählt hatte, fielen mir wein und ich sah mich schon zerrissen und aufgefressen. So fing ich an um mein vermeintlich verlorenes Leben zu rennen was ich nur konnte. Der Angstschweiß lief mir in Strömen herunter und erst im Dorf Kreben glaubte ich mich endlich gerettet.

Unsere gute alte Philippine wunderte sich nicht wenig, als ich so mutterseelenallein ankam. Endlich hatte ich einen, dem ich meinen Kummer klagen konnte. Sie tröstete mich und fütterte mich gut, um mich etwas zu entschädigen.

Den Spott der Geschwister erntete ich natürlich am Abend. Sie erzählten Wunderdinge, die sie bei Lehrers, wo sie nachmittags zum Kaffee eingeladen waren und mittags im Gasthof geschmaust hatten. Ich ärgerte mich insgeheim über meinen Dickkopf, aber zugegeben hätte ich um die Welt nicht.

Nur Mutter tröstete mich: „Das nächste Mal darfst nur du und die Schwestern mit, die wilden Buben müssen zu Hause bleiben.“ Sie hat auch Wort gehalten, ich habe die guten Leckerbissen alle gründlich nachgeholt.

   
         
         
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