Werter Herr Pfarrer!
Ich möchte
Ihnen mitteilen, zwei Wochen sind verflossen, seitdem wir
von Erlangen fort und in das Feindesland gekommen sind. Am
22. Januar gegen zehn Uhr hieß es antreten mit Sack
und Pack und (wir) verabschiedeten uns von den Kameraden,
während wir beinahe 24 Wochen unsere Kameradschaft gepflegt
und geleistet haben. Nach erfolgter Aufstellung im Hofe der
alten Kaserne hielt unser Bataillonskommandeur eine Ansprache,
in der er uns an treue Pflichterfüllung ermahnte und
uns die besten Wünsche mit auf dem Wege gab. Nach dem
Gebet erfolgte unter den Klängen der Landwehrmusik und
einem kräftigen Gesang von dem Ersatz des 19. Regiments,
die auch mit uns fuhren bis Saarbrücken, der Abmarsch
zum Bahnhof.
Eine große
Anzahl (von) Freunden und Bekannten hatte sich eingefunden,
um uns ein herzliches Lebewohl und gesundes Wiedersehen zuzurufen.
Um ein Uhr erfolgte die Abfahrt. Die Musikkapelle spielte:
"Muß i denn, muß i denn zum Städtele
hinaus" und unter Mützen- und Tücherschwenken
der Anwesenden verließen wir unser liebes Erlangen.
Unvergeßlich diese Abschiedsstunde!
Die Fahrt ging
zunächst über Bamberg, Schweinfurt, Gemünden,
wo wir dann unsere Abendkost und zwar Gulasch bekamen. Dann
ging es weiter (nach) Aschaffenburg, Darmstadt, Bischofsheim,
Mainz, Bingen Brück, wo wir dann unseren Morgenkaffee
bekamen und Wurstbrot, überhaupt in allen Stationen,
wo unser Zug gehalten hat, bekamen wir Liebesgaben. Dann gings
durch das Gebirge bis St. Wendel. Da bekamen wir wieder Mittagessen,
aber keine Liebesgaben mehr.
Je tiefer wir in
das Elsaß hineinkamen, desto weniger Liebesgaben bekamen
wir. In Busendorf bekamen wir wieder Abendkaffee, Reissuppe
mit gepökeltem Salzfleisch, dann sind wir wieder gefahren
bis Sedan. Da bekamen wir wieder warmes Getränk, dann
gings auf die letzte Station Dun. Es war Sonntagmorgen, den
24. acht Uhr, da hatten wir eine Stunde Aufenthalt. Da konnte
man wieder Tee oder Kaffee haben.
Dann mußten
wir den Marsch von 30 Kilometern noch zu Fuß ablegen.
Außerhalb des Bahnhofs sahen wir schon links und rechts
der Straße mehrere Grabhügel der gefallenen Kameraden,
die für ihr Vaterland gekämpft haben. Die Dörfer,
die wir passierten, sind vollständig zusammengeschossen.
Die Häuser bilden nur noch einen Trümmerhaufen.
Die Franzosen haben aber es meist selbst getan, damit unsere
Truppen keine Unterkunft mehr finden. Auf der Straße
merkte man, daß man sich im Kriege befindet. Die Autos
fahren hin und her die Bagage, ebenso Sanitäts- und Krankenwagen.
In dieses Getriebe mischte sich das Donnern der Kanonen und
Brummen unaufhörlich, bis wir nach Ivoiry in das Quartier
kamen.
Am 25. morgens
gings dann zum Bataillon, das zufällig in Bereitschaft
lag, eine halbe Stunde hinter dem Schützengraben. Denn
alle drei Tage kommt ein anderes Bataillon dran, das eine
ist in Stellung, das andere in Bereitschaft, das andere in
vollständiger Reihe zweieinhalb Stunden davor und gegenwärtig
in Ivoiry.
Ich kam zum zweiten
Bataillon zur 6. Kompanie. Unser Hauptmann begrüßte
uns aufs herzlichste. Die Ansprache wurde unterbrochen durch
ein heftiges Schrappnellfeuer. Es wurde befohlen in die Unterstände.
Nachdem das Feuer nachgelassen hatte, wurden wir von unserem
Kompanieführer nochmals begrüßt und willkommen
geheißen, über unseren Dienst und die gegenwärtige
Gefechtsstellung belehrt.
Am 27. gings zurück
nach Ivoiry in die Ruhestellung. Infolge des Schneewetters
ist der Boden so aufgeweicht, stellenweise muß man den
Morast durchwaten, bis zu den Knöcheln ist man so stets
im Dreck. Dann vom 28. bis 2. blieb es gefroren. Aber heute
hatte es schon wieder geregnet. Der Boden ist schlammig kalksteinartig
und ist sehr zügig. Unsere Stellung ist in dem Wald von
Cheppy ("Scheppe").
Es grüßt
Sie herzlichst und aufs Wiedersehen
Matthäus Ständtner