Im
April 1910. Unser Ludwiglein ist von uns gegangen!
Schon
seit Wochen ruht sein kleiner Leib im Grab, während
seine Seele, des sind wir gewiss, zu Gott gegangen
ist. Welches Leid die vergangenen Monate uns gebracht
haben, das lässt sich nicht beschreiben. Wir
hätten alles gern getragen, wenn wir nur endlich
unser Kindlein gesund zurück erhalten hätten.
Aber nach aller Angst und Sorge, nach dem bitteren
Weh der Trennung und des Fernseins, nach der schweren
Operation, nach allem Hoffen und Bangen doch zuletzt
das traurige Ende!
Schon
während des ganzen vergangenen Jahres, solange
wir in unserer neuen Heimat Kirchfarrnbach waren,
war Ludwigs Gesundheit nicht mehr so ungetrübt
wie früher. Auch ging es immer bald vorüber
und wir machten uns keine Sorgen. Im letzten Sommer
sprang er fröhlich überall herum, freute
sich seines Gärtchens, half dem Papa bei allen
Gartenarbeiten und war glücklich, wenn man ihn
auf Spaziergängen mitnahm. Er war mein Begleiter
fast auf allen Wegen, besonders auch nach Dietenhofen,
und mein kleiner Kamerad. Für alles hatte er
Interesse, und seine kindlichen Fragen verkürzten
den Tag. Es fiel uns wohl auf, dass er gegen Ende
des Sommers häufig müde war, wir mussten
ihn manchmal tragen, wenn die Füßlein gar
nicht mehr weiter wollten; aber wir schoben es aufs
Wachsen.
Am
12. September klagte er vom frühen Morgen an
über heftige Schmerzen im Leib, er wollte mich
keinen Moment vom Bett weggehen lassen. Nachmittags
legte ich ihn aufs Sofa, um ihn näher zu haben,
er klagte und jammerte noch immer. Plötzlich
war er ruhig, ich glaubte ihn schlafend. Wie erschrak
ich aber, als ich bei unserem Zusehen sein Gesicht
und den ganzen Körper in heftigen Zuckungen sah.
Die Augen waren offen; aber sie kannten mich nicht;
Ludwig war nicht bei Bewusstsein. Ich riss ihn vom
Sofa herunter und schrie laut nach Hilfe. Wir brachten
ihn ins Bett und schickten zum Arzt. Der Zustand dauerte
ungefähr eine halbe Stunde. Dann kam ein tiefer
Schlaf, und am anderen Morgen erwachte er wie sonst.
Wie glücklich war ich, als mein Kind mich wieder
kannte! Der Arzt hielt den Anfall für einen Magenkrampf
und erklärte ihn tags darauf für völlig
gesund. Scheinbar war er’s auch, nur klagte
er von da an häufig über Kopfweh. Das nahm
immer mehr zu und kam anfallsweise, auch die ganzen
Nächte andauernd. Der Arzt wusste keine Rat,
er hielt es für nervös.
Wir
ließen Ludwig von dem Augenarzt Dr. Enslin in
Fürth und von dem Ohren- und Nasenarzt Dr. Bauer
in Nürnberg untersuchen. Der erstere fand nur
eine kleine Abnormität am rechten Auge, wünschte
aber Ludwig zu beobachten; der letztere entdeckte
ein Wucherung im Rachen und hielt es für möglich,
dass diese die Ursache des Leidens sei. So wurde meinem
armen Büblein die Wucherung herausgenommen, was
ihm große Schmerzen machte. Spät am Abend
kam er mit seinem Vater heim weinend und ganz ermattet
und erfroren. Wie gern ließ er sich trösten
und beruhigen und ins warme Bett legen und es tat
ihm wohl, als ich ihm sagte, die Mama hätte ganz
gewiss arg geweint, wenn sie dabei gewesen wäre.
Aber die kleine Operation hatte keine Hilfe gebracht,
die Anfälle kamen wieder und steigerten sich
immer mehr.
Am
6. Nov. sollte er dem Augenarzt wieder vorgestellt
werden, dem „guten Herrn Doktor“, wie
er ihn nannte, weil er ihm einen Bonbon geschenkt
hatte. Ich sehe ihn noch zum Türchen hinaus und
die Straße hinunter gehen an seines Vaters Seite,
so frisch und unternehmend in seinem blauen Überzieher
mit den goldenen Knöpfen und der blauen Mütze.
Lange sah ich ihm nach. Ich ahnte nicht, dass er genau
ein Viertel Jahr später, am gleich Tag, zum Türchen
hinausgetragen werden würde, um nie mehr zu uns
zurückzukehren. – Diesmal
zeigte die augenärztliche Untersuchung, dass
eine Sehnervenentzündung auf beiden Augen da
war, die von einem Druck aufs Gehirn herrührt.