Nervenarzt Dr. von Rad in Nürnberg, der nun zu
Rat gezogen wurde, erklärte, dieser Druck sei
entweder durch Wasser oder durch eine Geschwulst im
Gehirn verursacht und verordnete eine Quecksilber-
und Jod-Kur. Nachmittags 4 Uhr kamen die beiden zurück,
Ludwig ganz heiter, sein Vater voll schwerer Sorge,
die sich, nachdem ich alles erfahren, auch mir mitteilte.
In
dieser Nacht lauschte ich voller Angst seinen Atemzügen
wie damals in der ersten Zeit seines Lebens. Nun wechselten
gute und schlimme Tage ab; wie sind uns diese sieben
Tage im Gedächtnis geblieben! Von Dietenhofen
kam fast jeden Tag jemand, entweder der Großvater
oder Onkel Wilhelm, um sich nach Ludwig umzusehen.
Ludwig schrieb noch voll Eifer einen Wunschzettel
fürs Christkind und stand stets in Erwartung
des Pelzmärtels. Da wir aber von einem Besuch
desselben schädliche Aufregung für Ludwig
befürchteten, wir aber doch die Kinder nicht
ganz um das Vergnügen bringen wollten, wurde
die Sache einfacher gemacht.
Der
Papa kam eines Abends vom Wald heim und erzählte
den Kindern, dass ihm der Pelzmärtel begegnet
sei. Wie gespannt lauschten sie da, und Ludwigs glänzende
Augen hingen an seines Vaters Mund. Als dieser das
Brummen des Pelzmärtels nachmachte und als er
nun gar für jedes Kind ein kleines, ihm vom Pelzmärtel
übergebenes Paketchen mit süßem Inhalt
aus der Tasche zog, war der Jubel groß.
Dies
war eine seiner letzten kleinen Freuden zu Hause.
In der Nacht vom 12. auf den 13. November kamen wieder
heftige Schmerzen; sie dauerten länger als je
und wurden immer ärger; den ganzen Samstag-Vormittag
jammerte er und rief nur immer „Mama, Mama“.
Kaum dachte ich, er sei ein bisschen eingeschlummert,
so ging es wiederum. Gegen 12 Uhr Mittag erreichte
die Qual den Höhepunkt; diese Angst in seinen
Augen, wenn er im Bett aufsprang, sich an mich klammerte
und nur „Mama, mama“ rief oder „geschwind,
geschwind!“ Es war entsetzlich. Mein armes,
armes Kind! Endlich kam Bewusstlosigkeit, Ludwig lag
totenbleich im Bett.
Wir
schickten zum Arzt, wir schickten einen Wagen nach
Dietenhofen, der die Großeltern bringen sollte.
Als der Arzt kam, sagte er, die Sache sei bedenklich,
akute Steigerung des Hirndrucks, es sei wohl die Zeit
für einen operativen Eingriff da, zu welchem
Zweck man Ludwig in eine Klinik bringen müsse,
am besten nach Erlangen.
Als
die Großeltern kamen, waren wir schon zur Reise
gerüstet, auch Ludwig, dessen Bewusstlosigkeit
allmählich in Schlaf übergegangen war, lag
angekleidet im Bett. Dann kam der Wagen, ich trug
mein Kind in Betten gehüllt hinein, so fuhren
wir mit ihm ab, abends um 6 Uhr in der Dunkelheit
– eine schauerliche Fahrt. Unterwegs erwachte
Ludwig und war bei sich, sprach auch etwas und wunderte
sich, wo wir seien; wir waren so froh, denn wir hatten
für sein Leben gefürchtet. Ich sagte ihm,
dass wir nach Erlangen reisten und dass er in ein
schönes Haus zu vielen Kindern kommen werde.
Endlich
um 1/2 11 Uhr waren wir vor der Klinik. Schwestern
kamen heraus und trugen Ludwig ins Haus, wir gingen
mit und sahen noch, wie er in ein Bettchen gelegt
wurde. Dann mussten wir uns von ihm trennen. Die Zeit,
die nun folgte, war die schwerste und traurigste unseres
Lebens.
Am
nächsten Morgen, einem Sonntag, suchte ich meinen
Bruder Dietrich auf, um ihm alles mitzuteilen. Wir
gingen dann alle drei in die Klinik, da saß
unser Ludwiglein in seinem Bett, schon in Anstaltswäsche
gekleidet, was mir einen Stich durchs Herz gab; Ludwig
hatte gut geschlafen, aber er fühlte sich fremd
und sehnte sich nach uns. Zwei andere Kinder waren
mit im Zimmer, ein Zehnjähriger und ein dreijähriges
Mädchen, das letztere ist durch lange Wochen
seine Gefährtin gewesen.