Den ganzen Vormittag verbrachte ich bei meinem Ludwiglein,
mittags sollte er vom Professor untersucht werden,
es war mir sehr bang. Einmal sagte er zu mir: „Mamele,
gib mir dei Hand, dass ich weiß, dass ich dich
noch hab“ – Diese Worte sind mir unendlich
teuer geworden. – Nach der Untersuchung hieß
es, das Kind sei wohl jedenfalls schwer krank, aber
ehe ein Eingriff gemacht werde, müssen man Ludwig
eine Zeit lang beobachten. Die Schwester aber nahm
uns von Anfang an fast jede Hoffnung auf Genesung.
Wir
beschlossen nun, einige Tage in Erlangen zu bleiben.
Den Tag über saß ich an Ludwigs Bett, spielte
und plauderte mit ihm. Aber am Abend musste ich fort;
wie furchtbar schwer war das! Die ersten Tage vergingen,
aber ohne Schmerzen; wie froh war ich immer, wenn
ich ihn früh wieder munter sah! Der Mittwoch
aber war ein schlimmer Tag. Wilhelm war früh
abgereist, um sich daheim umzusehen, so saß
ich fast ganz allein an Ludwigs Schmerzenslager, bis
endlich Wilhelm zurückkam. Mittags war eine Punktion
gemacht worden; Ludwig teilte es gleich seinem Vater
mit: „Die haben mich fei gscheit in Rücken
neigstochen!“ Noch ein paar Mal schrie er furchtbar,
dass der Schweiß in seinem Gesicht stand, dann
wurde er ruhiger.
Die
nächsten Tage waren wieder gut, Ludwig lebte
sich etwas ein, nur gefiel es ihm nicht, dass er nachts
bei ganz kleinen schreienden Kindern schlafen musste.
Er erzählte uns einmal früh in seiner munteren
Art: Das war heut Nacht wieder eine feine Musik! Am
Samstag kamen die Kopfschmerzen wieder, aber viel
schwächer und nicht lang anhaltend. Am Sonntag
sprach der Professor sich günstiger aus, wir
waren so froh, Wilhelm reiste ab. Ich blieb noch,
weil Marie und Hermann von Unteraltenbernheim kamen.
Sie freuten sich, Ludwig so munter zu finden, er war
oft genug übermüdet. Mittwoch hoffte ich
beruhigt abreisen zu können. Vorher wurden auch
die Augen untersucht, wie so sehr viel von dem Stand
der Sehnervenentzündung abhing. Sie fiel schlecht
aus, die Untersuchung; die Entzündung war stärker
geworden und die Operation schien nötig.
Ich
musste schweren Herzens abreisen, ohne mein Kind,
und musste meinem armen Wilhelm die schlechte Nachricht
statt der erwarteten frohen mitbringen. Unser Haus
war öde und leer, die beiden kleinen Kinder waren
in Dietenhofen, ich konnte es nicht aushalten und
ging am andern Morgen auch hinüber. Wir reisten
nun allwöchentlich nach Erlangen. Ludwigs Allgemeinbefinden
war gut, statt der Kopfschmerzen kam nur von Zeit
zu Zeit eine gewisse Müdigkeit. Er pflegte dann
zu sagen, er sei müde, er habe nicht ausgeschlafen,
weinte auch ein bisschen, und wenn er dann eine Weile
geschlafen hatte, war es vorbei. Aber die Sehnervenentzündung
wollte nicht weichen, und wir hatten die schreckliche
Sorge, dass unser Kind erblinden würde, wenn
die Operation nicht Hilfe bringe.
Er
selbst war ja ahnungslos, er war immer glücklich,
wenn wir kamen, gewöhnlich am Montag. Manchmal
kam ich schon am Sonntag, damit ich Ludwiglein ein
wenig länger hatte. Ach, ich hatte ja immer,
wenn ich ihn besuchte, das Gefühl, als gehöre
er uns gar nicht ganz. Zweimal an solchen Sonntagen
fuhren wir ihn im Schlossgarten spazieren. Da sah
er alles und fragte nach allem, Bäume, Brunnen,
Vogelfutterhäuschen, alles interessierte ihn,
vor allem auch der Marktplatz, wo gerade die Christbäume
zum Verkauf standen. Als wir wieder zurückkamen
und er noch ein wenig im Zimmer herumgegangen war,
sagte er: Ach wenn ich nur wieder in meinem Bettle
wär! So hatte ihn das ermüdet. –
Wir
sahen dem Weihnachtsfest mit Bangem entgegen, wir
wussten ja nicht, was werden sollte. Der Professor
erlaubte zwar, dass wir Ludwig über das Fest
heimholen dürften, aber die Operation stand als
Schreckgespenst vor uns. Die Entzündung nahm
immer zu. Die Operation war unvermeidlich, gleich
nach Weihnachten sollte sie vorgenommen werden.