Adam Christian Ludwig Dietzfelbinger
30. Mai 1904 - 2. Februar 1910
Aufzeichnungen von Magdalena Dietzfelbinger, geb. Nicol über das kurze Leben ihres Sohnes
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Den ganzen Vormittag verbrachte ich bei meinem Ludwiglein, mittags sollte er vom Professor untersucht werden, es war mir sehr bang. Einmal sagte er zu mir: „Mamele, gib mir dei Hand, dass ich weiß, dass ich dich noch hab“ – Diese Worte sind mir unendlich teuer geworden. – Nach der Untersuchung hieß es, das Kind sei wohl jedenfalls schwer krank, aber ehe ein Eingriff gemacht werde, müssen man Ludwig eine Zeit lang beobachten. Die Schwester aber nahm uns von Anfang an fast jede Hoffnung auf Genesung.

Wir beschlossen nun, einige Tage in Erlangen zu bleiben. Den Tag über saß ich an Ludwigs Bett, spielte und plauderte mit ihm. Aber am Abend musste ich fort; wie furchtbar schwer war das! Die ersten Tage vergingen, aber ohne Schmerzen; wie froh war ich immer, wenn ich ihn früh wieder munter sah! Der Mittwoch aber war ein schlimmer Tag. Wilhelm war früh abgereist, um sich daheim umzusehen, so saß ich fast ganz allein an Ludwigs Schmerzenslager, bis endlich Wilhelm zurückkam. Mittags war eine Punktion gemacht worden; Ludwig teilte es gleich seinem Vater mit: „Die haben mich fei gscheit in Rücken neigstochen!“ Noch ein paar Mal schrie er furchtbar, dass der Schweiß in seinem Gesicht stand, dann wurde er ruhiger.

Die nächsten Tage waren wieder gut, Ludwig lebte sich etwas ein, nur gefiel es ihm nicht, dass er nachts bei ganz kleinen schreienden Kindern schlafen musste. Er erzählte uns einmal früh in seiner munteren Art: Das war heut Nacht wieder eine feine Musik! Am Samstag kamen die Kopfschmerzen wieder, aber viel schwächer und nicht lang anhaltend. Am Sonntag sprach der Professor sich günstiger aus, wir waren so froh, Wilhelm reiste ab. Ich blieb noch, weil Marie und Hermann von Unteraltenbernheim kamen. Sie freuten sich, Ludwig so munter zu finden, er war oft genug übermüdet. Mittwoch hoffte ich beruhigt abreisen zu können. Vorher wurden auch die Augen untersucht, wie so sehr viel von dem Stand der Sehnervenentzündung abhing. Sie fiel schlecht aus, die Untersuchung; die Entzündung war stärker geworden und die Operation schien nötig.

Ich musste schweren Herzens abreisen, ohne mein Kind, und musste meinem armen Wilhelm die schlechte Nachricht statt der erwarteten frohen mitbringen. Unser Haus war öde und leer, die beiden kleinen Kinder waren in Dietenhofen, ich konnte es nicht aushalten und ging am andern Morgen auch hinüber. Wir reisten nun allwöchentlich nach Erlangen. Ludwigs Allgemeinbefinden war gut, statt der Kopfschmerzen kam nur von Zeit zu Zeit eine gewisse Müdigkeit. Er pflegte dann zu sagen, er sei müde, er habe nicht ausgeschlafen, weinte auch ein bisschen, und wenn er dann eine Weile geschlafen hatte, war es vorbei. Aber die Sehnervenentzündung wollte nicht weichen, und wir hatten die schreckliche Sorge, dass unser Kind erblinden würde, wenn die Operation nicht Hilfe bringe.

Er selbst war ja ahnungslos, er war immer glücklich, wenn wir kamen, gewöhnlich am Montag. Manchmal kam ich schon am Sonntag, damit ich Ludwiglein ein wenig länger hatte. Ach, ich hatte ja immer, wenn ich ihn besuchte, das Gefühl, als gehöre er uns gar nicht ganz. Zweimal an solchen Sonntagen fuhren wir ihn im Schlossgarten spazieren. Da sah er alles und fragte nach allem, Bäume, Brunnen, Vogelfutterhäuschen, alles interessierte ihn, vor allem auch der Marktplatz, wo gerade die Christbäume zum Verkauf standen. Als wir wieder zurückkamen und er noch ein wenig im Zimmer herumgegangen war, sagte er: Ach wenn ich nur wieder in meinem Bettle wär! So hatte ihn das ermüdet. –

Wir sahen dem Weihnachtsfest mit Bangem entgegen, wir wussten ja nicht, was werden sollte. Der Professor erlaubte zwar, dass wir Ludwig über das Fest heimholen dürften, aber die Operation stand als Schreckgespenst vor uns. Die Entzündung nahm immer zu. Die Operation war unvermeidlich, gleich nach Weihnachten sollte sie vorgenommen werden.

 
     
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