Adam Christian Ludwig Dietzfelbinger
30. Mai 1904 - 2. Februar 1910
Aufzeichnungen von Magdalena Dietzfelbinger, geb. Nicol über das kurze Leben ihres Sohnes
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Am Mittwoch, 22. Dezember kam ich in die Klinik, um Ludwig abzuholen, ich wollte mich freuen und konnte doch nicht, denn das Wiederbringenmüssen und die Operation lag mir schwer auf der Seele. Als ich ins Zimmer eintrat, rief er mir entgegen: heut geh ich fort! Ich kleidete ihn an, und dann führte ich ihn hinunter, wo für ihn eine kleine Bescherung unter brennenden Christbäumen bereitet war. Er sah alles an und freute sich, aber später fragte er mich so oft und so oft, warum denn an den Bäumen nur weiße Lichter seien; die bunten an unserem Christbaum gefielen ihm viel besser. Wir packten seine Sachen ein, einen Strauß (künstlicher) Rosen trug er in der Hand, setzten ihn in den Fahrstuhl und fuhren zum Bahnhof, was immer das Ziel seiner Sehnsüchte war.

Und als wir gar in die „sanftige Eisenbahn“ einstiegen, das gefiel ihm. Sein Onkel Dietrich, der ihn täglich in der Klinik besuchte, fuhr mit uns. Wer das Kind mit dem frischen, rosigen, lebhaften Gesicht sah, konnte nicht glauben, dass es todkrank sei. Ludwig blieb keinen Moment sitzen, alles musste er sehen, was draußen vorüber flog. In Wilhermsdorf stand der Wagen, aber nicht, wie wir erwartet hatten, Wilhelm und Mädi drinnen. Unterwegs stiegen allerlei Erinnerungen in Ludwig auf, er kannte die Mühle, wo es Truthühner gab, „in dem Graben drin bin ich gegangen, da ist der August in die Binsen neingelaufen“ usw. Die neu entstandenen Telegraphenstangen bewunderte er alle einzeln. Nun kamen wir an, wir trugen ihn hinein, wie freute sich das Schwesterlein!

Ach, ein paar Tage gehörte uns unser Kind wieder, aber dann?! Wir hörten seine Stimme, sein Lachen wieder im Hause, er schlief wieder in seinem Bettchen. Aber er hatte Tag wie Nacht wieder viele Schmerzen. Am 24. Dezember war er voll ungeduldiger Erwartung. In seinem Bettlein sitzend sang er Weihnachtslieder, am liebsten: Ihr Kinderlein kommet. Dann trug ich ihn herein und wir stunden zum letzten Mal mit unseren drei Kindern unterm Weihnachtsbaum.

Ehe er noch seine Geschenke gesehen hatte, wollte er zur Krippe und zum Baum, immer wieder trug und führte ich ihn hin. Schon in den vorhergehenden Jahren hatte er immer die Worte des Engels gesagt: „Hirten, fürchtet euch nicht; siehe, ich verkünde euch“ usw. Das tat er auch jetzt wieder. Mit Geschenken war er reich bedacht worden, außer seinen Sachen von der Klinik bekam er verschiedene Spiele, den ersehnten Malkasten, eine kleine Kanone, einen Nussknacker, den er mit ins Bett nahm, die gewünschte „Wachspfeife“, ein Engelbilderbuch, Taschentücher, die er nie benutzte, und eine Schürze, die er nie mehr trug. Aber das liebste war ihm der Kaufladen, den hatte der dann immer vor sich auf dem Bett stehen und kaufte und verkaufte, wog und wickelte ein. Das war sein letztes Weihnachtsfest auf Erden. –

An den übrigen Tagen wechselten gutes und schlechtes Befinden, der Appetit war schwach. Welch ein Gegensatz zu früher, wo er immer ein recht großes Stück wollte, aber „ein abrissen!“ Nur Fisch, den er stets liebte, und Kirschen schmeckten ihm, auch Nüsse aß er sehr gern. Das unheimliche Brechen, das vom Gehirn her kam, stellte sich auch manchmal ein.

Am 2. Feiertag hatte er furchtbare Schmerzen, ich glaubte sein Jammern und Schreien nicht mehr ertragen zu können. Er sagte einmal: „Mama, ich komm fei nimmer!“ Nachmittag wurde es allmählich besser, da kamen die Dietenhofener; seine Großmutter und die meisten seiner Onkel, sahen ihn da zum letzten Mal – am Abend vor seiner Abreise war mir so schwer ums Herz, ich musste ihn ja wieder hergeben und vielleicht für immer. Da kniete ich an seinem Bettlein und hielt ihn fest, fest. Aber er war ganz heiter und sagte immer: „Sei doch net so traurig! Wein doch net! Mach doch kein so trauriges Gesicht! Jetzt war sie vorhin noch so vergnügt und jetzt…"

Am andern Morgen kam die schwere Reise. Zum aller-allerletzten Mal zog ich ihn an. Er nahm Abschied von seinem Schwesterlein, von dem lieben kleinen „Bruder“, über den er immer so lachen musste – sie sahen ihn nur im Sarge wieder. –

 
     
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