Wieder trugen wir ihn zum
Wagen, ich hielt ihn fest die ganze Reise auf meinem
Schoß. Als der Wagen stieß auf dem holprigen
Weg, sagte ich, da würde die Mädi lachen.
„Ich lachet auch, wenn ich g’sund wär“
meinte er da. In der Klinik wurde er recht liebevoll
empfangen, er kam gleich wieder ins Bett, und wir
gingen bald fort, nachdem wir noch den Professor gesprochen
hatten. Der Abschied fiel ihm nicht leicht, er fragte,
ob bald wieder Montag sei, und ich versprach ihm,
bald zu kommen. Anfang Januar sollte er operiert werden.
Ich
hatte zu Hause kaum Ruhe und reiste am Neujahrstag
nach Erlangen, wo ich mein Büblein müde
und gelangweilt im Bett liegen fand. Wie fuhr er aber
in die Höhe und wurde munter, als ich kam! Ich
sagte ihm, der Papa käme morgen auch, und wir
blieben nun lange in Erlangen und wohnten ganz nahe
bei ihm. Noch ein paar Tage hatten wir unsern Ludwig,
wie wir ihn gewohnt waren, frisch und munter, die
letzten Tage! Auf Dienstag, 4. Januar war die Operation
festgesetzt.
Als
ich früh in die Klinik kam, hörte ich schon
unten seine muntere Stimme: „No, die Mama, die
schläft aber heut lang!“ Er war sehr befriedigt,
als ich alsbald zu ihm kam. Nicht lange durften wir
bei ihm sein, um 11 Uhr mussten wir den schweren Abschied
nehmen. Ich betete noch mit ihm, dann wollten wir
gehen. Plötzlich fing Ludwig an zu weinen, so
bitterlich, wie er sonst nie getan, er wollte sich
gar nicht trösten lassen, als ahne er, dass wir
ihn so nicht mehr sehen würden. Und wir mussten
ihn verlassen in der schweren schweren Stunde, der
er entgegen ging, und von der er nichts wusste. Unsere
Gebete aber um das teure Leben stiegen empor zu Gott,
es war nur ein einziges Seufzen. Und alle unsere Lieben
wussten wir mit uns im Gebet vereint. –
Die
Operation ging gut vorüber; man hatte im Gehirn
eine ziemlich große Menge Flüssigkeit gefunden
und diese entfernt. Als wir zitternd in die Klinik
kamen, kam der Professor uns entgegen und ersuchte
uns, jetzt nicht zu ihm zu gehen, er müsse schlafen.
So irrten wir dann stundenlang in der Stadt umher,
bis wir um 5 Uhr zu unserm Kinde gingen.
Welch
ein Wiedersehen! Die Tür stand offen, und er
hatte mich sofort erblickt, rief Mama, Mama, und weinte.
Ich nahm sein Händlein und küsste es und
beruhigte ihn. Er zog an meinem Handschuh und sagte:
dableiben! Was hätte ich darum gegeben, wenn
ich das gedurft hätte! Aber wir mussten wieder
fort und er rief die ganze Nacht vergeblich nach seiner
Mama.
Am
andern Morgen wagten wir nicht gleich hineinzugehen,
wir sahen durchs Schlüsselloch, er lag ruhig
und schien zu schlafen. Dann sah er mich durch den
Türspalt und rief gleich wieder nach mir und
nun blieb ich an seinem Bett. Er war verhältnismäßig
wohl, aber er sah totenbleich aus, und der Kopf war
dick verbunden. Reden konnte er nur mit Anstrengung,
aber er wollte sogar sitzen. Die Ärzte waren
ganz zufrieden.
Am
Tag darauf kam Fieber, er war ganz erregt und hatte
viel Durst, auch Brechen stellte sich ein. Die Ärzte
glaubten, es sei eine Gehirnhautentzündung, aber
am andern Tag fiel das Fieber mehr und mehr. Wir atmeten
auf und schöpften neue Hoffnung. Wilhelm musste
abreisen, ich wollte noch warten, bis die größte
Gefahr vorüber sei. Ludwig schien sich etwas
zu erholen, aber er hatte Schmerzen in den Gliedern.
Er schlummerte viel, und dann stand ich stundenlang
am Bett und sah ihn an.
Am
Sonntag morgen kam ich, als er gebadet wurde; da schrie
er laut beim Umbetten und das Gesichtchen war schmerzlich
verzogen. Dann, während die Schwestern in die
Kirche gingen und ich mit ihm allein war, schlief
er tief und fest, und daraufhin schien er nachmittags
ganz frisch. Er klagte wenig, verlangte zu spielen
und sprach sogar ein paar Worte. Ganz glücklich
war ich an diesem Abend, als die Klinik verließ,
ich glaubte, dass nun alles gut werden und wollte
am andern Tag abreisen. Mit dieser Zuversicht im Herzen.
Aber es kam wieder anders.