Der Professor untersuchte
ihn und war gar nicht zufrieden, weder mit der Temperatur
noch mit dem Augenbefund, er schien auf einmal zu
sehen, dass die Operation wenig genutzt habe. So reiste
ich wieder schweren Herzens ab, denn immer in der
Klinik zu sein war aus verschiedenen Gründen
peinlich, und auch sonst war ich ziemlich heimatlos.
Aber hätte ich gewusst, dass das Ende so nahe
sei, - nicht einen Tag wäre ich trotz allem von
meinem Kind gegangen.
Wir
ließen uns nun jeden Tag telefonisch Nachricht
geben, und die lautete nicht ungünstig. Zweimal
reisten wir noch hin. Ludwig lag zwar fast regungslos
und hatte manche Beschwerden, auch durch den Verband,
aber wir hofften immer noch. Rührend war es,
wie er sich bemühte zu lächeln, wenn der
Professor kam, es gelang ihm nur den Mund zu verziehen.
Am
24. Januar kamen wir wieder nach Erlangen. Beim ersten
Blick schien mir Ludwig so verändert, um seinen
Mund lag ein fremder Zug. Er schlief und schien noch
schlafbefangen, als er die Augen geöffnet hatte.
Ich beschloss nicht mehr von ihm zu gehen, während
Wilhelm heim musste. Am andern Tag hatte Ludwig viele
Schmerzen, besonders im Nacken, er erwachte unter
Weinen und Jammern, es war mir sehr bang. Nachmittag
rief er wieder unter seinen Schmerzen „Mama;
Mama“, wie früher immer – er rief
es zum letzten Mal.
Bald
darauf kamen unter heftigen Schmerzen leise Krämpfe.
Zum Tod erschrocken rief ich die Schwester, denn ich
war mit Dietrich allein im Zimmer. Die Krämpfe
waren aber gleich vorüber, und die Professoren
fanden ihn wie sonst. Sie beschlossen, am andern Tag
wieder zu punktieren. Ich fragte den Professor, ob
ich die Nacht bei Ludwig bleiben dürfe, und er
bejahte es. Noch einige Male kamen die Krämpfe,
länger und heftiger. Und dann wurde es von Tag
zu Tag ärger, und unser armes Kind musste schwer
leiden.
Ach
Gott, welch ein Anblick! Wir mussten zusehen wie er
litt und kämpfte und konnten ihm nicht helfen.
Wie schnitt uns der müde, traurige Blick der
lieben Augen ins Herz! Oft war er nicht bei Bewusstsein,
nun war jeder klare Augenblick kostbar. Da sprach
ich mit ihm vom Himmel und vom lieben Heiland. Auf
die Frage, ob er in den Himmel wolle, nickte er. Über
seinem Bett hing das Bild von Jesu dem Kinderfreund.
Ich hatte ihm davon so oft erzählt, und nun als
er nicht mehr reden konnte, hingen oft seine Augen
an dem Bild, und ich sagte ihm dann die Worte des
Heilands: Lasset die Kindlein zu mir kommen, die ihm
lieb und bekannt geworden waren in der Zeit seiner
Krankheit.
Gesprochen
hat er wenig mehr, nur einzelne Worte brachte er mühsam
heraus, ja, nein; einmal nachts, als ich sagte: „Komm,
ich leg dein Köpflein besser“, sagte er
„selber“. Ich hielt stundenlang seine
Hände, bis die Krämpfe so arg und ununterbrochen
wurden, dass man auch das nicht mehr konnte. Der Druck
im Kopf machte im große Qual, man sah die Hitze
aufsteigen im Gesicht, das dann glühend rot wurde.
Die Punktionen hatte nicht den geringsten Erfolg.
Am
Dienstag nach einer schrecklichen Nacht, die ich allein
bei ihm zugebracht hatte, kam plötzlich Marie
und bald darauf Wilhelm. Welch ein tief erschütterndes
Beisammensein! Ludwig war einige Stunden ruhiger und
schaute uns wohl sehr müde, aber doch mit vollem
Bewusstsein an. Er nahm so gern Orangenstückchen,
auch etwas Schokolade, weiter aber brachte er nichts
hinunter. Wir mussten wohl sehen, dass das Lebenslichtlein
nur noch schwach brannte, aber die Hoffnung aufgeben?
Nein, nie! Gott konnte ja noch helfen, ihm ist nichts
unmöglich.
Und
dann brach doch der letzte Tag seines Lebens an. Vormittag
kam sein Vater, er kam gerade recht zum Sterben seines
Kindes. Die Krämpfe waren besonders heftig, nur
von 1/2 4 bis 1/2 5 Uhr schlief Ludwig ganz ruhig.
Dann ging es von neuem an. Abends gegen 7 Uhr fühlte
ich, wie die Hitze immer größer wurde,
die Schwester kam und wollte ihn baden, da öffnete
er plötzlich weit die Augen.