In der
Bibelstunde treffen sich Frauen zwischen dreißig und
achtzig Jahren. Die jüngeren, die dreißigjährigen,
sind neu dazu gekommen. Die älteren sind dabei geblieben.
Lange haben die jungen Frauen im Dorf gedacht, das sei nichts
für sie, der Bibelkreis. Da geht nur die Oma hin. Da
wird gesungen und gebetet. Und der Pfarrer redet recht schön.
Aber mit den Frauen hat das Ganze nichts zu tun. So sind die
jüngeren zu Hause geblieben, haben der Oma die fromme
Erbauung gegönnt. Heute kommen sie zusammen zur Bibelstunde
ins Pfarrhaus, die Oma, die Mutter und manchmal auch die Tochter.
In
der Bibelstunde geht es gar nicht in erster Linie um Erbauung
Freilich
wird da auch gesungen und gebetet. Und die Bibel kommt nicht
zu kurz. Aber der Pfarrer hält keine Predigt. Die Frauen
ergreifen selbst das Wort. Sie sagen ihre Meinung. Und wenn
die meisten Frauen es auch nicht gewohnt sind, vor versammelter
Runde zu reden, so haben sie es doch gelernt, zu sagen, was
ihnen wichtig ist.
Die Angst
sich zu verplappern, die Angst etwas Dummes zu sagen ist gebannt.
In der Bibelstunde darf zwar gelacht werden, aber ausgelacht
wird keine der Frauen, auch wenn sie eine noch so abwegig
erscheinende Frage stellt. Die Bibel hat etwas mit ihrem Leben
zu tun. Das bekommen die Frauen in ihrer Bibelstunde mit.
Keine Frau verliert ihr frommes Gesicht wenn sie von sich
erzählt und die eigenen sehr menschlichen Erfahrungen
in der Bibel wieder sucht.
Zum Reden wird keine Frau genötigt
Manchen
Frauen ist es allerdings nach wie vor lieber, wenn sie nichts
sagen müssen. Wenn sie am Abend, sie sind von der Tagesarbeit
meist rechtschaffend müde, nur zuzuhören brauchen.
Zum Reden wird keine Frau genötigt. Die stillen können
reden, sie brauchen es aber nicht. Und dann geschieht es doch
immer wieder, dass eine der ganz stillen den Mund aufmacht,
weil sie etwas so bewegt, dass sie nicht mehr länger
schweigen mag.
Immer
wieder entdecken die Frauen in der Bibel, oft in altbekannten
Geschichten, etwas, was sie so noch nie gehört oder gelesen
haben, was ihnen aber wichtig wird. Geschichten, die manche
Frauen beinahe schon auswendig zu kennen meinen. Wie etwa
die Geschichte von Ruth und ihrer Schwiegermutter Naomi erscheinen
im neuen Licht und werden mit neuem Schwerpunkt erzählt.
Dass die
Ruth eine brave Frau war, dass sie der armen alten Schwiegermutter
so treu geblieben ist, das kannten die Frauen. Aber dass diese
brave Frau mit einem fremden Mann geschlafen hat, das haben
die Frauen weder im Konfirmandenunterricht noch im Gottesdienst
gehört. Da verbringt diese ehrbare Ruth eine lange Nacht
mit dem wohlhabenden Gönner und die fromme Schwiegermutter
hat nicht einmal etwas dagegen. Sie ermutigt Ruth sogar noch,
sich ja recht schön heraus zu putzen, damit der Mann
Feuer fängt.
In der
Bibel wird Ruth für ihr Handeln nicht verurteilt. An
dieser Liebe ist nichts Schmutziges, nichts Verbotenes. So
bestärkt die alte Frau die junge. Und das nicht erst,
nachdem klar ist, dass der Liebhaber Ruth auch heiraten will.
In der Bibelstunde schütteln die Frauen den Kopf
Das passt
nicht in ihr Bild von Kirche. Die älteren können
noch aus eigener Erfahrung davon erzählen, wie hart die
Kirche Frauen, die nicht als Jungfrauen in die Ehe gingen,
bestraft hat. Da durfte die Braut keinen Schleier tragen.
Sie musste auf das Jungfernkränzchen verzichten. Das
kam einer öffentlichen Schmähung gleich. Keine Frau
wollte diese Schande gerne heraufbeschwören.
So beeilten
sich die Bräute, die noch vor der Ehe schwanger waren,
mit der Hochzeit, damit der Pfarrer ja nichts merkte. Wenn
er nämlich nichts merkte, dann war der Schleier gerettet.