Die ersten Veilchen
von Dethardt Lauter
   
         
   

Eines Tages, ich mochte wohl fünf Jahre alt sein, kam der Herr Dekan zur Schulvisitation. Er wohnte und aß natürliche im Pfarrhaus und war uns Kindern der gute Onkel. Nach dem Essen hatten die Herren das Bedürfnis etwas zu ruhen, die Kinderschar sollte wohl außerhalb des Hauses beschäftigt werden. So sagte der gute Onkel Dekan zu uns: „Also Kinder, wer mir das erste Veilchensträußchen bringt, bekommt einen blanken fünfziger in die Sparbüchse.“ Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Wir stürmten los und suchten zwei Stunden lang hinter jedem Zaun und allen Hecken, doch es war zu früh oder nur mit Schneeglöckchen bewaffnet kamen wir zurück. Es erhielt aber doch jeder seinen Fünfziger.

Die Großen taten ihn auch gehorsam in die Sparbüchse, ich aber konnte der Versuchung nicht widerstehen und ging zum Krämer eine große Tüte Bonbons zu erstehen. Rote, grüne, gelbe, blaue in allen Farben, damit zog ich mich heimlich auf den großen Holunderbaum an der Ecke der Garten- und Kirchhofmauer zurück, der seine Zweige weit in unseren Garten hing. Wo die Mauer die Ecke bildete, hatten die Brüder eine Bank gezimmert, auf die man über eine kleine Leiter gelangen konnte, so dass man von unten aus gar nicht gesehen wurde. Man konnte von da aus auf den dicken Ästen des Baumes bis in die Krone klettern, wo noch einmal ein kleines Brett angenagelt war. Das war ein herrliches Versteck und auch für mich leicht erreichbar. Dort gab ich ganz dem süßen Genusse hin.

Mehr als die halbe Tüte schaffte ich nicht und nun galt es den Rest so gut zu verstecken, dass er dem Zugriff meiner Geschwister entzogen war. Da fiel mein suchender Blick auf den großen Drachenkopf an der Dachrinne, der sein Regenwasser in den Hof spie. Es war herrliches Wetter und nichts zu befürchten. Zu allem Glück stand auch noch eine große Leiter an der Ecke. Das war der richtige Platz, darin würden sie nichts vermuten. Die Luft war rein und so erstieg ich mit viel Mühe die Leiter und versenkte meinen Schatz tief in den Rachen des Ungetüms, das ihn mir sicher und unentdeckt bewahren sollte.

Am andern Morgen war ich der erste auf um meinen Schatz zu heben. Oh, weh, was musste ich entdecken. Nachts war ein Gewitter aufgezogen und der grimmige Drache hatte alle meine bunten Schätze ausgespieen. Sie lagen als ein in allen Farben schillernder See auf der Erde. Bald standen auch meine Brüder lachen drum herum und hänselten mich weidlich ob meines Missgeschickes. So hatte ich zum Schaden auch noch den Spott.

   
         
         
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