Als Kaiser Rotbart Lobesam!
von Dethardt Lauter
   
         
   

Die große Freitreppe teilte den Vorgarten des Pfarrgartens in zwei große Teile. Das eine enthielt die Rosen- und Lieblingsblumenzucht des Vaters und war für uns Kinder „tabu“, geheiligter Raum, den wir nur im äußersten Notfalle und mit größter Vorsicht betraten. Auf ihn gingen die großen Fenster des Studierzimmers unseres Vaters hinaus und an der großen Hausmauer ragte ein riesiger Weinstock mit den herrlichsten Trauben, die vom Vater mit Argusaugen gehütet wurden. Im Herbst hatte er die Trauben in Tüllsäckchen gehüllt, anders wäre ihm das Hüten kaum gelungen. Natürlich bekamen wir unser reichliches Teil, aber für unsere Jungensmägen war es nie genug. Auf der anderen Seite der Freitreppe war ein großer Rasenplatz, auf dem eine hohe Schaukel stand. Wir Jungens schwangen uns darauf besonders oft und gern in die Lüfte. Gegenüber der Schaukel stand ein riesiger Kirschbaum bis zu dessen höchsten Zweigen man mit der Schaukel fliegen konnte. Dahinter kam das große Waschhaus.

Eines Tages flog mein Bruder Fritz, der zweitälteste, mit höchstem Schwunge auf der Schaukel und schmetterte dabei in höchsten Tönen das Lied vom Kaiser Rotbart lobesam, während zu gleicher Zeit unseres alte Kinderfrau Philippine im Waschhaus die Wäsche wusch.

Gerade als Fritz sang: „Zur Rechten sieht man wie zur Linken einen halben Türken heruntersinken“, riss das Seil der Schaukel. Der gute Fritz flog in höchstem Schwunge durch den blühenden Kirschbaum und das dahinter liegende Waschhausfenster und landete mit einem riesigen Plumps und Geklirr mitten in dem Waschbottich der guten Philippine. Diese bekam die Seifenlauge über und über und einen solchen Schreck, dass sie sich mitten ins Waschhaus hinsetzte und erst nach einiger Zeit wieder zu sich kam. Dem Sänger Fritz war nichts passiert, die Wäsche hatte den Stoß pariert und außer dem Seifenbad hat er keinen Schaden genommen.

Der Herr Pfarrer, der im Studierzimmer den Krach gehört, Frau Pfarrer und alle Kinder hinterdrein. Fritz saß noch in der warmen Seifenlauge und lachte Tränen über die gute Philippine und alles lachte mit. Fritz, der mit heiler Haut davon gekommen war, fühlte sich als der Held des Tages.

   
         
         
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