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Im
ersten Stock des großen Pfarrhauses lagen die Schlafzimmer
der Familie und ein langes schmales nach hinten war unser
Spielzimmer. Unsere älteste Schwester Helene kam auf
den Gedanken, diese Stube zur Märchen- und Gespensterstube
einzurichten.
Die Wände
wurden in halber Höhe mit schwarzem Papier ausgeschlagen
und mit ausgeschnittenen Bildern aus allen deutschen Märchen
beklebt. In der Mitte stand ein langer schmaler Tisch mit
einer roten Decke überdeckt. Darauf stand ein alter ausgestopfter
Uhu und auf der andern Seite saß stets unser großer,
grauschwarzer Kater, behaglich schnurrend. Dann lag da noch
ein alter zerbeulter Helm und ein rostiges Schwert. Diese
imponierten uns Jungen besonders, denn unsere Phantasie umgab
sie, je nach den dazu erzählten Märchen mit einem
hellen Glorienschein. Von der Decke hing eine rot umkleidete
Ampel und, wenn wir sie sehr baten, las uns Helene abends
vor dem Schlafengehen noch ein paar herrliche Märchen
vor, oder sie erzählte uns die köstlichsten Geschichten.
Sie saß dabei hinter dem Tisch in einem großen
Lehnstuhl, hatte eine schwarze Kapuze auf, trug eine Brille
mit grünen Bändern und verstand es schon durch diese
ganze Aufmachung eine Spannung und ein Gruseln in uns zu erwecken,
die uns zu atemlosen Zuhörern zwangen. Wir saßen
auf schmalen Bänken und lauschten verzückt und selig.
Helene
hatte aber auch ein Erzählertalent und eine entzückende
Art vorzulesen. Sie ist später eine große Missionarin
in Indien geworden. Sie erzählte uns auf weiten Spaziergängen
ganz lange Geschichten aus Büchern, die sie gelesen hatte
und bewies eine Engelsgeduld, wenn wir Kleinen immer wieder
nach allen möglichen Dingen fragten, die wir noch nicht
recht verstanden.
Nie werde
ich die Gespensterstube, eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen
vergessen und unsere gute Schwester Helene hat sich damit
ein schimmerndes Denkmal in unseren Herzen gesetzt.
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