Zwischen Wirtshaus und Bibel
Vom kleinen Aufstand der Frauen in einem Dorf
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Doppelte Moral auch in der Kirche

Die Frauen sind das so gewohnt. „Du sollst dich nicht erwischen lassen!“ so heißt das ungeschriebene elfte Gebot. Dass die Kirche der Bibel nach dieses Recht auch zu keiner Zeit besessen hat, darüber sprechen die Frauen jetzt in der Bibelstunde. Die Moral, die die Kirche predigt, und die Moral der Bibel passen nicht immer zusammen. Das verwirrt manche der Frauen auch, macht sie unsicher. Woran soll man sich denn dann noch halten?

Manchmal erwächst aus der Unsicherheit aber auch eine neue Sicherheit

Eine Sicherheit, die stark und offen macht. Immer aber machen Gespräche in der Bibelstunde, die an alten Wahrheiten rühren, neugierig auf mehr Geschichten in der Bibel. Die Bibel ist zum spannenden Buch geworden. Kennen wir schon, wollen wir nicht mehr hören, das sagen die Frauen zu keiner biblischen Geschichte mehr.

Manchmal bietet der Pfarrer auch einen Text an, der nicht in der Bibel steht. Wo es ums Leben geht, ums Miteinanderleben im Dorf haben auch andere Geschichten ihre Bedeutung.

Da ist die Erzählung von der unwürdigen Greisin, die auf Berthold Brecht zurück geht. Eine Frau, immer fromm, immer gut und immer fleißig erwacht nach dem Tod ihres Mannes zu neuem Leben. Sie legt die schwarzen Kleider ab, weigert sich, die ihr noch verbleibende Lebenszeit in Trauer, Demut und emsigem Fleiß zu verbringen. Sie denkt nicht daran, sich noch weiter abzurackern, nur damit die Erben möglichst viel abbekommen. Die Frau kratzt alles Ersparte zusammen und gönnt sich noch etwas auf ihre alten Tage. Sie geht auf Reisen, lernt fremde Sitten, andere Menschen kennen. Unerhört, schamlos, frivol, so urteilen die Kinder der Verwandten in der Geschichte. Das Urteil der Frauen in der Bibelstunde fällt nicht viel anders aus.

Zunächst jedenfalls. Das geht doch nicht an, das Geld zu verprassen. Das ist man den Kindern doch schuldig, dass man ihnen ihr Erbteil erhält und wenn möglich vermehrt. So protestieren die Frauen gegen diese Geschichte. Ja, wenn das alle so täten, wo kämen wir da hin? Schaffen von früh bis spät, so sind es die Frauen im Dorf gewohnt. Urlaub, Reisen, das kennt kaum eine von ihnen. Davon wagen die meisten nicht einmal zu träumen.

Aber wie man so richtig ins Gespräch kommt darüber, was Frauen tun und lassen müssen, da ergreifen doch einige zaghaft zunächst noch Partei für die alte Frau in der Geschichte. Das sei schließlich auch kein Leben, wenn man tagein tagaus nur schaffen müsse ohne auch einmal zu genießen. Und das könne nicht Sinn des Lebens sein, möglichst viel Geld auf die hohe Kante zu legen, nur für die Erben. Auf jeden Fall wollen schließlich alle Frauen weiter darüber nachdenken, ob und wo sie selbst auch einmal ganz gerne wie die unwürdige Greisin handeln würden.

Ein paar Frauen, die sonst auch gerne zusammen hocken, mochten das nicht nur für sich alleine überlegen. Sie waren in der Bibelstunde so richtig in Fahrt geraten, da wollten sie gleich noch weiter über die Geschichte reden. Aber wohin gehen? In der Wohnstube zu Hause sitzen bestimmt Mann und Kinder vor dem Fernsehapparat. Da kann man sich nicht unterhalten.


So was war noch nie da

Die Frauen haben sich kurzer Hand für ihre erste unwürdige Tat entschieden: Sie sind zusammen ins Wirtshaus gezogen. Die Männer dort haben ganz schön Augen gemacht. Erst hat keiner von denen den Mund aufgekriegt. So was war noch nie da. Frauen allein ins Wirtshaus! Und dann noch die frommen Frauen, und die setzen sich nicht mal zu den Männern an den Tisch. Die nehmen gar nicht besonders Notiz von den Herren der Schöpfung. Die sind sich selbst genug.

 
     
 
     
 

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