Zwischen Wirtshaus und Bibel
Vom kleinen Aufstand der Frauen in einem Dorf
Seite 5
 
     
 
     
 

Bis die Männer sich vom ersten Schrecken erholen, ist schon eine gute Weile vergangen. Dann aber gibt es lautstarken Protest. Zwar nur von einer Minderheit der Männer, die aber fühlt sich verpflichtet für die schweigende Mehrheit zu sprechen. Das hat es noch nie gegeben, drum darf es das heute auch nicht geben, so sagt man. An Fest- und Feiertagen zusammen mit dem Ehemann, ja da durften die Frauen schon mal ins Wirtshaus. Aber so allein? Und nach der Bibelstunde?

Ein paar Männer kriegen sich an diesem ersten Abend gar nicht mehr ein. Dass den Frauen an diesem Abend die Lust auf das Wirtshaus nicht ein für allemal vergangen ist, verdanken sie außer ihrer eigenen Courage auch ihren Ehemännern. Die haben nämlich ganz normal reagiert. Weil sie nicht davon überzeugt sind, dass sie das Wirtshaus für sich alleine gepachtet haben. Der Schreiner, der jeden zweiten Abend zu irgendeiner Vereins- oder Parteiveranstaltung unterwegs ist, gönnt seiner Frau den Stammtisch. Warum soll sie immer zu Hause hocken und nur auf ihn warten, wenn er dauernd auf Achse ist. Die anderen Ehemänner denken ähnlich. Das Recht, das sie doch selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, sich abends auf ein Bierchen zusammen zu setzen, das machen sie ihren Frauen nicht streitig.


Der Stammtisch wird zur festen Einrichtung

Zu der Handvoll Gründerfrauen gesellen sich noch ein paar andere mutige. Und weil das, was eigentlich nicht geht, doch geht, legt sich im Wirtshaus auch bald die Aufregung. Heute bleiben die Frauen meist ungestört, wenn sie das wünschen. Und nur noch selten kommt es vor, dass ein Mann empört das Wirtshaus verlässt, weil die Frauen jetzt hier Einzug halten.

Die Frauen haben sich nicht allen Wirtshaussitten angepasst. Das Spiel der Männer, sich gegenseitig unter den Tisch zu saufen, das spielen sie nicht mit. Sie bestellen das, worauf sie Lust haben, und trinken nur so viel, wie sie Durst haben. Es kommt selten vor, dass eine Frau alleine ihren Maßkrug stemmt. Meist wird eine Radlermaß, das ist ein Gemisch aus Bier und Limonade für den ganzen Tisch bestellt. Die Maß macht dann die Runde, alle trinken aus demselben Krug.


Man prostet sich zu

Manchmal unterhalten sich die Frauen mit den Männern im Wirtshaus. Da spendiert auch manchmal einer der Herren eine Runde. Man prostet sich zu. Wenn dann aber die lustige Stimmung ins Aggressive umzuschlagen droht, ziehen sich die Frauen zurück. Streit mit den Männern gehen sie immer aus dem Weg.

Einmal haben die Frauen um des lieben Friedens Willen eine riesige Schlachtplatte verzehrt, obwohl keine von ihnen Hunger hatte. Und das kam so:

Die Männer drinnen haben die Frauen draußen schon lachen hören. Und weil es schon mal vorkommt, dass die Frauen am Stammtisch Brotzeit halten haben die Männer den Wirt gerufen: „Die Weiber kommen, jetzt musst Du was zu Essen machen!“ Der Wirt, schon ein wenig angeheitert, hat gar nicht erst die Bestellung der Frauen abgewartet, sondern die Wurstplatte der erstaunten Runde gleich vorserviert. „Wir mussten das essen“, erzählten die Frauen, „sonst wäre der Wirt beleidigt gewesen.“ Mit dem Wirt legen sich die Frauen am wenigsten an. Der hat aber noch nie etwas gegen die Frauen am Stammtisch gesagt.

Nur einmal aus Übermut und guter Laune haben die Frauen den Wirt beinahe verärgert. Da hat er sich über seine Frisur beklagt und erzählt, er hätte sich heute eigentlich die Haare schneiden lassen wollen. Die Frauen lachten und meinten, Haare schneiden, das könnten sie auch. Dafür bräuchte der Wirt doch nicht zum Friseur gehen. Sie würden ihm die schickste Frisur vom ganzen Dorf zaubern, wenn er nur wollte. Die Frauen wollten dabei den Wirt nur ein wenig auf den Arm nehmen. Sie dachten im Ernst gar nicht dran, den Wirt zu frisieren.

 
     
 
     
 

zurück zum Verzeichnis: Heimatgeschichtliches Lesebuch