Ich
steckte meine Nase in das Buch und kriegte sie kaum
noch heraus. Jede freie Minute, die ich hatte, las
ich in dem Buch, zu Hause, am Sonntag, am Werktag
und auch in der Schule. Ich saß ja in dem Schulsaal
ziemlich weit hinten. Immer wenn der Lehrer im Mittelgang
zwischen den Bänken auf und ab ging und mir den
Rücken zukehrte, verschwand ich für einige
Minuten unter der Bank, um mich in mein Realien-Buch
zu vertiefen. So ging das eine gute Zeit.
Eines
Tages unterrichtete uns der Lehrer in Erdkunde und
befahl uns, dass wir uns nach vorne in die niedrigen
Bänke der ersten Klasse zwängen mussten,
um auf der großen Landkarte die Städte
und Flüsse richtig zu sehen. Da mir das schon
ziemlich langweilig erschien, nahm ich bei diesem
Umzug mein Realien-Buch mit, setzte mich in die hinterste
Reihe, ganz außen in der Nähe vom Ofen.
Der
Lehrer dozierte lang und breit und da ich einen guten
Vordermann hatte, der mich deckte, konnte ich mein
Realien-Buch unter der Bank ganz schön studieren.
Auf einmal unterbricht der Lehrer seinen Vortrag,
ist mit ein paar Schritten bei mir und herrscht mich
an: "Was machst du da?“ Ich ziehe schuldbewusst
mein Realien-Buch unter der Bank hervor, reiche es
ihm und sage: "Ich hab’ darin gelesen.“
Da konnte er doch ein Schmunzeln nicht unterdrücken,
wandte sich schnell wieder nach vorne und sagte nur
im Umdrehen: "Mach’s zu!“ Da merkte
ich, dass er um dieses Realien-Buch wusste. Nachdem
ich entdeckt war, habe ich mein Studium im Realien-Buch
nur noch zu Hause fortgeführt.
Schlecht singen, dafür aber dichten
Das
Singen in der Schule war ein besonderes Problem. Unser
Lehrer hieß zwar im Dorf gewöhnlich Kantor,
das heißt Sänger oder Vorsänger. Er
dirigierte auch den Schülerchor, der bei Beerdigungen
auf dem Friedhof zu singen hatte, aber ich habe ihn
nie einmal singen hören.
Lehrer
werden Niemals!
Eines
Tages kommt der Herr Lehrer an meinen Platz und sagt
leise zu mir: "Georg, du könntest dich doch
zum Erich hinsetzen und ihm etwas behilflich sein
und ihn beaufsichtigen, wenn er sich jetzt auf die
Prüfung an der Lehrerbildungsanstalt in Bayreuth
vorbereitet.“ Gerne war ich dazu bereit. Ich
wechselte also meinen Platz von hinten in einen Mittelplatz
neben Erich, den Lehrersohn. Erich rechnete fleißig
und ich hatte nur nachzusehen, dass er zu keinem falschen
Ergebnis kam. Das war auch eine sehr schöne Art
von Volksschule für mich. Erich arbeitete und
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ich
schaute zu und ließ meine Gedanken irgendwo
spazieren gehen, vielleicht auch bei dem, was ich
zuletzt im Realien-Buch gelesen hatte. So war ich
beinah bis zum Ende der letzten Volksschulklasse
Hilfslehrer geworden ohne mein Zutun.
Übergangsschulen von Staat und Kirche
Mit
der Entlassung aus der Volksschule und mit der Konfirmation
war der Übergang aus der Kindheit in den Stand
der Jugend verbunden. Doch schien dieser Übergang
so groß und auch schwierig, dass Staat und
Kirche gewisse Zeiten festlegten, um einen allmählichen
Übergang zu erreichen. So wurden den Jugendlichen
gewisse Verpflichtungen auferlegt, die sie noch
einige Jahre erfüllen mussten, bevor sie alle
Rechte und Freiheiten eines Erwachsenen in Anspruch
nehmen konnten.
Der
Staat verlängerte die Schulpflicht um zwei
oder drei Jahre durch die Landwirtschaftliche Berufsschule.
Sie fand nicht während der Woche statt, sondern
beschränkte sich auf etwa eineinhalb bis zwei
Stunden Unterricht am Sonntagvormittag im Schulhaus.
Die Landwirtschaftliche Berufsschule wurde vom Herrn
Lehrer gehalten, der auch an der Volksschule unterrichtet
hatte. Ein halbes Jahr lang habe ich diese Berufsschule
genossen, wegen des Termins am Sonntag auch Sonntagsschule
genannt. Ich kann mich nicht erinnern, dabei etwas
gehört zu haben, was ich nicht schon längst
wusste. Die Berufsschule wurde einfach abgesessen,
weil der Staat es so wollte, aber ohne erkennbaren
Nutzen und Sinn. Vielleicht erging es dem Lehrer
ähnlich.
Etwas
anderes, aber nicht viel anders, verlangte die Kirche
parallel zur Sonntagsschule, nämlich die Christenlehre.
Sie fand in der Kirche statt, auch in Gegenwart
von Gemeindegliedern, die, hinter den Christenlehreschülern
sitzend, ebenfalls als Zuhörer und eventuell
als Mitwirkende teilnahmen. Die Zeit war am frühen
Nachmittag zwischen dreizehn und vierzehn Uhr. Dabei
wurden die Zehn Gebote aus Luthers Kleinem Katechismus
wiederholt. Sie wurden einzeln als Hausaufgaben
aufgegeben und mussten jedes Mal in der Kirche auswendig
aufgesagt werden. Anschließend wurden sie
dann in einem freien Unterrichtsgespräch besprochen
und erklärt. Wenn einer von uns im Frage- und
Antwortspiel des Unterrichtsgesprächs versagte,
sprangen die Erwachsenen ein, die hinter uns saßen.
Diese Nachhilfe habe ich zwar nie in Anspruch nehmen
müssen, aber die anwesenden Erwachsenen und
ihre Kritik nach der Christenlehre gaben dieser
Unterrichtsstunde doch etwas Würze.
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