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Ganz
nahe bei unserem Dorfe dehnte sich stundenweit dichter Wald,
beginnend mit dem Dillenberg, in dem viele Felsgruppen aufragten.
Oft saßen wir auf einer dieser zackigen Felsgruppen
und lauschten den Erzählungen Helenens. War es eine Räuber-
oder Rittergeschichte, so lernten wir das Gruseln und Fürchten
und schmiegten uns auf dem Heimwege eng an sie, die uns dann
wie die leibhaftige Waldfee aus dem verzauberten und verwunschenen
Wald herausführte.
Helene
machte schon mit zwölf Jahren Gedichte, die von uns in
feierlichem Akt in einer der Felsgruppen, in einer Blechbüchse
oder Glasröhre versiegelt, für die Nachwelt niedergelegt
wurden.
Nie haben
wir Geschwister nur einen Augenblick die gute Helene vergessen
und ihr stets die große Liebe und Verehrung bewahrt,
die wir ihr von klein auf gezollt haben. In unserer schönen
Jugend hat sie sich ein Denkmal für alle Zeiten in unseren
Herzen errichtet.
Sie ist
auch nach dem Tode unserer Mutter die, ach, so früh sterben
musste unser Hausmütterchen geworden.
Der Dillenberg
hatte stellenweise urwaldähnlichen Charakter. Er war
so dicht, dass man kaum in ihn eindringen konnte, aber stundenweit
führten schmale Fußpfade durch ihn hindurch, kreuz
und quer, man musste aber genaue Ortskenntnis besitzen, wollte
man sich in ihm zurechtfinden. Viele Bächlein durchzogen
ihn und ganz in der Nähe des Dorfes sprudelte aus einer
Felsgruppe der Jungfernbrunnen, eine kristallklare, köstliche
Quelle, die in ein Rohr gefasst war. Jeden Morgen mussten
die älteren Geschwister von dem etwa sieben Minuten entfernten
Sprungquell für Vater einen Glaskrug voll des herrlichen
Wassers holen, der für Vater ein direkter Gesundbrunnen
war. Wie oft sagte Vater zu uns Kinder: „Achtet dies
köstliche Wasser, es kommt unberührt aus dem Felsen
und ist eine köstliche Gottesgabe.“
Im Walde
des Dillenberges, ein Teil dessen auch Pfarrwald war, gab
es herrliche, schwellende Moosarten, darunter das schöne
Korallenmoos, fast alle Farnarten, wie überhaupt eine
Waldflora, die man sich nicht schöner denken kann. Auch
wunderbare Bergkristalle fanden wir dort. Er war eine Fundgrube
aller Waldbeeren. Unsere liebe Mutter zog mit den Mägden
und uns Kindern frühmorgens hinaus in den Wald, abends
kehrten wir mit Eimern Heidelbeeren oder Walderdbeeren beladen
nach Hause. Der Dillenberg auf der einen und der Hirschberg
auf der anderen Seite des Dorfes lieferten lieferten uns Waldbeeren
und Pilze für den ganzen Winter.
Eines
Tages im Hochsommer nahm Vater uns drei Buben mit auf eine
Wanderung durch den Dillenberg nach dem etwa vier Stunden
entfernten Kadolzburg mit seiner alten Burg. Kreuz und quer
ging es auf den versteckten Waldpfaden durch den verwunschenen
Wald. Vater immer voraus, wir Buben hinterdrein. Unterwegs
labten wir uns an Waldbeeren, sahen ganze Rudel Rehe, beobachteten
Kaninchen und Hasen. Der Vater zeigte uns alle möglichen
Waldvögel, die wir noch nie so nahe beobachtet hatten.
Er lehrte
uns, sie an ihrem Gezwitscher und Pfeifen erkennen und erklärte
und ihre Art zu leben. Wir ergötzten uns an den possierlichen
Gebaren der Eichkätzchen, hörten das Klopfen der
Spechte und das Kreischen der Nusshäher. Wir hörten
das Gurren der Wildtauben und versuchten uns so nahe als möglich
heranzuschleichen, aber sie waren wachsam und sehr scheu.
Vielleicht waren wir Buben auch zu unruhig, so dass sie stets
aufflogen. Schließlich fanden wir als besonders schöne
Trophäe den abgetrennten Flügel eines Nusshähers,
den wohl ein Geier geschlagen hatte und steckten voll Entzücken
und Stolz die schönen, blauweißen Federn an unsere
Hüte. Gegen Mittag waren wir bei dem Onkel in Kadolzburg,
der in einem schönen Pfarrhaus mit einem großen
Garten wohnte.
Wir hatten
den ganzen Nachmittag für uns und besichtigten unter
Führung von ein paar Kadolzburger Jungen das alte Burgnest,
aßen Berge von Kuchen zum Nachmittagskaffee und erlebten
einen an neuen Eindrücken reichen unvergleichlichen Nachmittag.
Nach dem
Abendessen machten wir uns auf den Heimweg. Wieder ging es
durch den dichten Wald. Wir Jungen glaubten den Wald nun schon
zu kennen, aber bald wurde es finster, nur das Meer der Sterne
leuchtete über dem Meer der Gipfel. Bald wurde es schon
so dunkel, dass wir Mühe hatten dem Vater zu folgen.
Vater gab Konrad dem Ältesten seine Rockschöße
in die Hand, ich fasste in Konrads Gürtel und Fritz,
der zweitälteste machte den Schluss. „So Jungens,“
sagte der Vater, „nun festgehalten und tüchtig
marschiert. Wenn einer loslässt oder fällt, brüllt
ihr, damit wir keinen verlieren.“ Ich war der Kleinste
und ging also in der Mitte. Ein paar Mal stolperte ich und
ließ los. Sofort stand die Kolonne und brüllte.
Etwas Angst hatte ich doch, es war unheimlich in dem finsteren
Wald. Manchmal schlugen uns die Zweige ins Gesicht , aber
ich nahm allen Mut zusammen um von den anderen nicht ausgelacht
zu werden. Vorne war ja Vater und der war so groß und
stark, unser Vertrauen war so felsenfest, es konnte nichts
passieren. Ab und zu blieb er stehen und ließ uns auf
die Stimmen des nächtlichen Waldes lauschen. Wir hörten
viele Käuzchen und manchmal klang es ganz nahe bei uns,
dass wir ordentliche zusammenschraken. Aber Vater veruhigte
uns und erklärte uns ihr nächtliches Treiben.
Es ist
mir heute noch ein Rätsel, wie Vater sich in dem stockdunklen
Wald kreuz und quer zurecht gefunden hat.
Spät
in der Nacht kamen wir nach Hause. Mutter brachte uns zu Bett.
Ich war todmüde, merkte von allem nichts mehr, aber in
der Erinnerung lebt diese herrliche Wanderung fort.
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