Somalineger!
von Dethardt Lauter
   
         
   

Wir hatten drei große Fischteiche. Vater züchtete die besten Spiegelkarpfen weit und breit. Wenn im Herbst gefischt wurde, war dies stets ein großes Ereignis für Erwachsene und Kinder. Schon abends wurden die Teiche abgelassen und unser ältester Bruder mit ein paar Männern wachten mit Lärminstrumenten und Sogrotflinten bewaffnet die ganze Nacht bei den Teichen, um die Krähen und Geier, die nach den kleinen Fischen und der Brut aus waren, abzuhalten.

Morgens um vier Uhr kamen die Männer und Wagen zum Fischen. In die großen Tonnen auf den Wagen kamen die großen Fische zum Verkauf in der Stadt. Die Setzlinge, etwa halbpfündige Fische und die Brut wurden gleich an Ort und Stelle an die vielen Fischzüchter verkauft, die von weit und breit hergefahren kamen, um Vaters bekannte hochwertige Brut in ihre Teiche einzusetzen. Es war wie ein großer Markt und die Mägde hatten alle Hände voll zu tun, um den Käufern die Fischchen immer gleich schockweise zuzuzählen.

Die Wagen mit den großen Fischen fuhren gleich nach Fürth und Nürnberg, wo unser Onkel Konditor eine große Gartenwirtschaft im Prater, dem Fürther Vergnügungspark, hatte. Auch in den Luftsprung in Nürnberg auf der Insel Schütt, wo eine Base von uns wirtschaftete.

Zum ersten Mal durften mein Bruder Fritz und ich mit dem Fischwagen in die Stadt mitfahren. Die Fahrt dauerte fünf Stunden. Wir kamen gegen Mittag an. Nie werde ich diese Fahrt vergessen. Man denke, zwei Landjungen zum ersten Mal in der Großstadt. Heute noch rieche ich die Großstadtluft. Mag sein, dass diese mir besonders in die Nase stieg, denn gerade da, wo wir in die Stadt einfuhren, lag eine Keksfabrik, die einen besonders merkwürdigen Geruch verbreitete. Nun die Läden, die Straßenbahn, damals noch die Pferdebahn, der ganze Stadtbetrieb, wir hatten wohl was zu gucken. Wir wurden nicht müde uns gegenseitig auf alle die neuen Ding aufmerksam zu machen.

Großer Empfang in der Konditorei des Onkels. Es waren da nicht weniger als fünf Basen und drei Vettern zwischen acht und fünfundzwanzig Jahren, die wir alle von Besuchen im geliebten Pfarrhaus her schon kannten, wo sie fast stets abwechselnd die Ferien verbracht hatten. Das gab ein Hallo, als wir vorfuhren. Wir wanderten von einem Arm in den andern und dann wurden wir erst einmal mit Kuchen und Süßigkeiten vollgestopft. Das ganze Haus wurde uns gezeigt, überall roch es herrlich nach frischem Gebäck.

Nasch einem Imbiss für die Knechte fuhren wir mit in den Prater um dem Ausladen der Fische zuzusehen. Anschließend gondelten wir mit den Vettern auf den Teich im Prater, sie führten uns auf einen Vergnügungsplatz, wo allerhand Karussells, Schießbuden etc. aufgebaut waren. Unter anderem war dort auch eine Somalinegertruppe, die ein ganzes Negerdorf aufgebaut hatten. Das war etwas für uns. Wir hatten noch nie einen Neger gesehen und nun gar ein ganzes Dorf. Elefanten, Strauße. Giraffen, Zebras und alles mögliche afrikanische Federvieh gab es da. Die Neger warfen mit Speeren, schossen mit Pfeil und Bogen, führten Scheinkämpfe auf, ritten auf Zebras und Straußen. Die Frauen, halbnackt oder in grellfarbenen Kleidern, saßen um ein Feuer und kochten in einem großen Kessel eine undefinierbare schwarze Suppe, dazu rauchten sie Pfeife und spuckten den braunen Tabaksaft über drei bis vier Meter weit auf einen Stein, den sie mit unfehlbarer Sicherheit auch stets trafen. Spuckte wirklich einmal eine daneben, so stießen sie ein wahres Hohngeheul aus. Es war für uns über alle Maßen aufregend, wir zitterten wie im Fieber und konnten gar nicht alles was geschah in uns aufnehmen.

Als wir abends nach Haus kamen, waren wir todmüde, konnten aber noch lange keine Schlaf finden. Es war zuviel gewesen für uns Landjungen an einem Tag.

Am andern Morgen fing der Tag schon wieder mit Kuchen und Schokolade an. Nach dem Frühstück fuhr Kusine Betty mit uns beiden mit der Pferdebahn nach Nürnberg. Sie hatte dort zu tun, so sahen wir die schöne Stadt mit den Mauern, Türmen, den schönen alten Häusern und Kirchen und die Burg. Anschließend ging sie mit uns zu Eissenbeiss, der großen Konditorei an der Ecke der Kaiser- und Königsstraße. Dort ließ sie uns zwei Teller mit Schokoladentorte mit Bergen von Schlagsahne bringen. Ich machte mich gleich darüber her, aber Fritz war misstrauisch, er wollte nicht, er sagte: „Das ess’ ich nicht, das wackelt ja so, das lebt ja!“ Er ging auch nicht daran und so aß ich mit größtem Behagen alle zwei Portionen. Kusine Betty war untröstlich, dass ihr guter Wille so schlecht belohnt wurde, entschädigte aber doch Fritz mit einer großen Tafel Schokolade.

Am Nachmittag besahen wir uns mit den Vettern noch eine Goldschlägerei, deren es viele in Fürth gibt. Wir taten dies über ein großes Wehr, das vom Wasser überflutet uns zu einem der großen Fenster führte, von dessen Fensterbank aus wir den ganzen inneren Maschinensaal übersehen konnten. So wurde also das Blattgold hergestellt, mit dem wir vor Weihnachten die Nüsse für den Weihnachtsbaum vergoldeten. Wir saßen lange und schauten den Hämmern zu. Es war der erste Maschinenbetrieb, den wir sahen, wir prägten uns alles gut ein, denn Vater würde uns bestimmt danach fragen und außerdem gedachten wir den Bauernjungen mächtig damit zu imponieren. Endlich planschten wir über das Wehr zurück, wenigstens im Wasserplanschen konnten uns die Vettern aus der Stadt nichts vormachen, darin taten wir es ihnen mindestens gleich.

Abends wurden wir dann wieder in unsere Wagen verpackt, reichlich mit Wegzehrung versorgt, traten wir die Heimfahrt an. Nun hatten wir für Monate hinaus Stoff für Spiele und Erzählungen zu Hause. Wir waren gewillt alle neuen Eindrücke reichlich zu verwerten.

Am andern Morgen war unser erstes die Spielkameraden zusammenzutrommeln und ihnen alle die unerhörten Dinge zu erzählen. Nachmittags wurde Somalineger gespielt, das war ganz selbstverständlich. Die Negertänze und Scheinkämpfe mussten aufgeführt werden. Es wurde eine Uraufführung, über die das ganze Dorf noch lange sprach und die auch auf unserer leiblichen Kehrseite noch für wochenlang eine, in allen Farben schillernde Erinnerung zurück ließ. Dies kam so:

Gerade vorher war im Dorfe ein Karussell gewesen, das eben abgebaut wurde. Von diesem stand nur die große Schmierbüchse, in der der Hauptmast sich gedreht hatte, noch. Darauf baute sich unser Plan, auch einen möglichst ähnlichen Neger zu beschafften. Es war da der kleine Hirtenjunge, der immer seine Gänse in unsere Rübenäcker trieb, dem wir daher nicht grün waren. Wir fingen ihn ein, führten ihn zur Schmierbüchse und machten ihn mittels der Gänseflügel aus Vaters Bienenstand von Kopf zu Fuß mit Wagenschmiere zum kunstgerechten Somali-Neger. Er brüllte fürchterlich, aber es half ihm nichts. Zum Schluss wurde er in Ketten gelegt, die wir von den Ackerwagen nahmen und dann unter wildestem Geheul durch das ganze Dorf geschleift. Die Bauersfrauen lachten, manche schimpften hinter uns drein: „Na, ihr hobt nix z’lacha, wenn d’Muatter vo dem Buam erscht zu eierm Vota kimmt, der wert eich schö aushaua.“ Am Hause des Hirten trieben wir es besonders toll. Der Junge brüllte: „Muatta, Muatta, i bins doch, dei Heinerle.“ Erst lachte auch die Hirtenfrau, dann erkannte sie ihren Heinerle an der Stimme und kam wie ein Stoßvogel zwischen uns, die wir nach allen Richtungen auseinander stipten. Nun lachte sie nicht mehr, wir hörten nur von weitem ihr fürchterliches Geschimpfe.

Allmählich kam uns doch die angerichtete Schandtat zum Bewusstsein, zumal wir unterwegs die Urteile der Bauersfrau hörten: „No, ihr kimmt ner hom, do kinnt ihr wo derlebn, ihr Pfarrersschlacken.“

Nach alledem fanden wir es doch ratsam nicht so schnell zu Hause in Erscheinung zu treten. Erst mal versteckten wir uns in den dichten Büschen hinter der großen Freitreppe, die zum Eingang des Pfarrhauses führte, von wo aus man alles sehen und hören konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Wir brauchten nicht lange zu warten. Die Hirtenfrau kam mit ihrem Heinerle, die ihn nur notdürftig im Gesicht gewaschen hatte, angerannt, die Treppe hoch und bimmelte mächtige an der großen Zugglocke. Uns schallte es wie die Glocke des Gerichts in die Ohren. Unglücklicherweise war Vater allein zu Hause, Mutter mit den Mägden irgendwo im Dorf oder im Feldgarten. Als er die beiden sah, lachte er erst über den scheckigen, noch von Wagenschmiere triefenden Buben. Das war der Hirtenfrau ein gefundenes Fressen. Sie schimpfte mächtig los: „So, Sie lachen ja au no, schauns ner her, wie ihre Saubum mein Heinerle zugericht ham. I bring die Wagenschmirt nimmer runter von dö Kleider, die sin a hi.“ In dem Ton ging es eine ganze Weile fort. Schließlich sah der sonst immer so gütige Pfarrherr ein, dass seine Rangen hier doch mächtig über das Ziel hinaus geschossen hatten. Er tröstete die Frau und holte ihr erst einmal Hemd und Hose für den verdorbenen Lumpenkram des Buben. Für diesen wurde es nachher sein Sonntagsstaat. Die Frau zog einigermaßen beruhigt mit ihrem Heinerle ab.

Wir aber mucksten uns nicht, wussten wir doch nicht, was uns erwartete. Bald sollten wir peinlichste Gewissheit darüber erhalten. Der Vater kam die Treppe herabgeschritten, ging durch den Garten zur Kirchhofsmauer, wo die Zweige einer großen Trauerweide über die Mauer in unseren Garten gingen und schnitt sich ein paar Ruten ab, die er durch die Luft pfeifen ließ. Den Ton kannten wir schon zur Genüge, er sang uns unheilkündend in die Ohren. Da war es wohl ratsamer, gar nicht erst zum Abendessen nach Hause zu gehen. Bei Dunkelwerden schlichen wir uns über die Hintertreppe direkt in unser Schlafzimmer und krochen in unsere Betten.

Später kam dann Mutter, brachte uns etwas zu essen und versuchte uns zu beruhigen, aber wir trauten dem Frieden nicht so recht, wir kannten unseren alten Herrn schon, was der sich vorgenommen hatte, das führte er auch aus. Die Weidenruten durften ja auch nicht trocken werden, sonst pfiffen sie nicht mehr.

Die gute Mutter hatte wohl ihr Bestes getan. „Ach lass sie doch, sie waren gestern in Fürth bei den „Somalis“, da konnten sie doch garnicht anders, als nun auch Somalis spielen und die Hirtenfrau hast du doch reich beschenkt, die kann wirklich lachen, für das bisschen Wagenschmiere.“ Vater hörte jedoch nicht: „Ja, du hilfst immer deinen Buben, aber wenn ich es durchgehen lasse, kommt es dach nächste Mal noch toller, ich kenne doch meine Pappenheimer.“

So kam er ins Schlafzimmer und die Katastrophe brach über uns herein. Ihren Einzelheiten will ich lieber nicht schildern, jedenfalls erinnerte uns der farbige Denkzettel auf unserer Kehrseite noch lange Zeit lebhaft an die „S o m a l i“.

   
         
         
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