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                  Wir 
                    hatten drei große Fischteiche. Vater züchtete die 
                    besten Spiegelkarpfen weit und breit. Wenn im Herbst gefischt 
                    wurde, war dies stets ein großes Ereignis für Erwachsene 
                    und Kinder. Schon abends wurden die Teiche abgelassen und 
                    unser ältester Bruder mit ein paar Männern wachten 
                    mit Lärminstrumenten und Sogrotflinten bewaffnet die 
                    ganze Nacht bei den Teichen, um die Krähen und Geier, 
                    die nach den kleinen Fischen und der Brut aus waren, abzuhalten. 
                  Morgens 
                    um vier Uhr kamen die Männer und Wagen zum Fischen. In 
                    die großen Tonnen auf den Wagen kamen die großen 
                    Fische zum Verkauf in der Stadt. Die Setzlinge, etwa halbpfündige 
                    Fische und die Brut wurden gleich an Ort und Stelle an die 
                    vielen Fischzüchter verkauft, die von weit und breit 
                    hergefahren kamen, um Vaters bekannte hochwertige Brut in 
                    ihre Teiche einzusetzen. Es war wie ein großer Markt 
                    und die Mägde hatten alle Hände voll zu tun, um 
                    den Käufern die Fischchen immer gleich schockweise zuzuzählen. 
                  Die Wagen 
                    mit den großen Fischen fuhren gleich nach Fürth 
                    und Nürnberg, wo unser Onkel Konditor eine große 
                    Gartenwirtschaft im Prater, dem Fürther Vergnügungspark, 
                    hatte. Auch in den Luftsprung in Nürnberg auf der Insel 
                    Schütt, wo eine Base von uns wirtschaftete. 
                  Zum ersten 
                    Mal durften mein Bruder Fritz und ich mit dem Fischwagen in 
                    die Stadt mitfahren. Die Fahrt dauerte fünf Stunden. 
                    Wir kamen gegen Mittag an. Nie werde ich diese Fahrt vergessen. 
                    Man denke, zwei Landjungen zum ersten Mal in der Großstadt. 
                    Heute noch rieche ich die Großstadtluft. Mag sein, dass 
                    diese mir besonders in die Nase stieg, denn gerade da, wo 
                    wir in die Stadt einfuhren, lag eine Keksfabrik, die einen 
                    besonders merkwürdigen Geruch verbreitete. Nun die Läden, 
                    die Straßenbahn, damals noch die Pferdebahn, der ganze 
                    Stadtbetrieb, wir hatten wohl was zu gucken. Wir wurden nicht 
                    müde uns gegenseitig auf alle die neuen Ding aufmerksam 
                    zu machen. 
                  Großer 
                    Empfang in der Konditorei des Onkels. Es waren da nicht weniger 
                    als fünf Basen und drei Vettern zwischen acht und fünfundzwanzig 
                    Jahren, die wir alle von Besuchen im geliebten Pfarrhaus her 
                    schon kannten, wo sie fast stets abwechselnd die Ferien verbracht 
                    hatten. Das gab ein Hallo, als wir vorfuhren. Wir wanderten 
                    von einem Arm in den andern und dann wurden wir erst einmal 
                    mit Kuchen und Süßigkeiten vollgestopft. Das ganze 
                    Haus wurde uns gezeigt, überall roch es herrlich nach 
                    frischem Gebäck. 
                  Nasch 
                    einem Imbiss für die Knechte fuhren wir mit in den Prater 
                    um dem Ausladen der Fische zuzusehen. Anschließend gondelten 
                    wir mit den Vettern auf den Teich im Prater, sie führten 
                    uns auf einen Vergnügungsplatz, wo allerhand Karussells, 
                    Schießbuden etc. aufgebaut waren. Unter anderem war 
                    dort auch eine Somalinegertruppe, die ein ganzes Negerdorf 
                    aufgebaut hatten. Das war etwas für uns. Wir hatten noch 
                    nie einen Neger gesehen und nun gar ein ganzes Dorf. Elefanten, 
                    Strauße. Giraffen, Zebras und alles mögliche afrikanische 
                    Federvieh gab es da. Die Neger warfen mit Speeren, schossen 
                    mit Pfeil und Bogen, führten Scheinkämpfe auf, ritten 
                    auf Zebras und Straußen. Die Frauen, halbnackt oder 
                    in grellfarbenen Kleidern, saßen um ein Feuer und kochten 
                    in einem großen Kessel eine undefinierbare schwarze 
                    Suppe, dazu rauchten sie Pfeife und spuckten den braunen Tabaksaft 
                    über drei bis vier Meter weit auf einen Stein, den sie 
                    mit unfehlbarer Sicherheit auch stets trafen. Spuckte wirklich 
                    einmal eine daneben, so stießen sie ein wahres Hohngeheul 
                    aus. Es war für uns über alle Maßen aufregend, 
                    wir zitterten wie im Fieber und konnten gar nicht alles was 
                    geschah in uns aufnehmen. 
                  Als wir 
                    abends nach Haus kamen, waren wir todmüde, konnten aber 
                    noch lange keine Schlaf finden. Es war zuviel gewesen für 
                    uns Landjungen an einem Tag. 
                  Am andern 
                    Morgen fing der Tag schon wieder mit Kuchen und Schokolade 
                    an. Nach dem Frühstück fuhr Kusine Betty mit uns 
                    beiden mit der Pferdebahn nach Nürnberg. Sie hatte dort 
                    zu tun, so sahen wir die schöne Stadt mit den Mauern, 
                    Türmen, den schönen alten Häusern und Kirchen 
                    und die Burg. Anschließend ging sie mit uns zu Eissenbeiss, 
                    der großen Konditorei an der Ecke der Kaiser- und Königsstraße. 
                    Dort ließ sie uns zwei Teller mit Schokoladentorte mit 
                    Bergen von Schlagsahne bringen. Ich machte mich gleich darüber 
                    her, aber Fritz war misstrauisch, er wollte nicht, er sagte: 
                    „Das ess’ ich nicht, das wackelt ja so, das lebt 
                    ja!“ Er ging auch nicht daran und so aß ich mit 
                    größtem Behagen alle zwei Portionen. Kusine Betty 
                    war untröstlich, dass ihr guter Wille so schlecht belohnt 
                    wurde, entschädigte aber doch Fritz mit einer großen 
                    Tafel Schokolade. 
                  Am Nachmittag 
                    besahen wir uns mit den Vettern noch eine Goldschlägerei, 
                    deren es viele in Fürth gibt. Wir taten dies über 
                    ein großes Wehr, das vom Wasser überflutet uns 
                    zu einem der großen Fenster führte, von dessen 
                    Fensterbank aus wir den ganzen inneren Maschinensaal übersehen 
                    konnten. So wurde also das Blattgold hergestellt, mit dem 
                    wir vor Weihnachten die Nüsse für den Weihnachtsbaum 
                    vergoldeten. Wir saßen lange und schauten den Hämmern 
                    zu. Es war der erste Maschinenbetrieb, den wir sahen, wir 
                    prägten uns alles gut ein, denn Vater würde uns 
                    bestimmt danach fragen und außerdem gedachten wir den 
                    Bauernjungen mächtig damit zu imponieren. Endlich planschten 
                    wir über das Wehr zurück, wenigstens im Wasserplanschen 
                    konnten uns die Vettern aus der Stadt nichts vormachen, darin 
                    taten wir es ihnen mindestens gleich. 
                  Abends 
                    wurden wir dann wieder in unsere Wagen verpackt, reichlich 
                    mit Wegzehrung versorgt, traten wir die Heimfahrt an. Nun 
                    hatten wir für Monate hinaus Stoff für Spiele und 
                    Erzählungen zu Hause. Wir waren gewillt alle neuen Eindrücke 
                    reichlich zu verwerten. 
                  Am andern 
                    Morgen war unser erstes die Spielkameraden zusammenzutrommeln 
                    und ihnen alle die unerhörten Dinge zu erzählen. 
                    Nachmittags wurde Somalineger gespielt, das war ganz selbstverständlich. 
                    Die Negertänze und Scheinkämpfe mussten aufgeführt 
                    werden. Es wurde eine Uraufführung, über die das 
                    ganze Dorf noch lange sprach und die auch auf unserer leiblichen 
                    Kehrseite noch für wochenlang eine, in allen Farben schillernde 
                    Erinnerung zurück ließ. Dies kam so: 
                  Gerade 
                    vorher war im Dorfe ein Karussell gewesen, das eben abgebaut 
                    wurde. Von diesem stand nur die große Schmierbüchse, 
                    in der der Hauptmast sich gedreht hatte, noch. Darauf baute 
                    sich unser Plan, auch einen möglichst ähnlichen 
                    Neger zu beschafften. Es war da der kleine Hirtenjunge, der 
                    immer seine Gänse in unsere Rübenäcker trieb, 
                    dem wir daher nicht grün waren. Wir fingen ihn ein, führten 
                    ihn zur Schmierbüchse und machten ihn mittels der Gänseflügel 
                    aus Vaters Bienenstand von Kopf zu Fuß mit Wagenschmiere 
                    zum kunstgerechten Somali-Neger. Er brüllte fürchterlich, 
                    aber es half ihm nichts. Zum Schluss wurde er in Ketten gelegt, 
                    die wir von den Ackerwagen nahmen und dann unter wildestem 
                    Geheul durch das ganze Dorf geschleift. Die Bauersfrauen lachten, 
                    manche schimpften hinter uns drein: „Na, ihr hobt nix 
                    z’lacha, wenn d’Muatter vo dem Buam erscht zu 
                    eierm Vota kimmt, der wert eich schö aushaua.“ 
                    Am Hause des Hirten trieben wir es besonders toll. Der Junge 
                    brüllte: „Muatta, Muatta, i bins doch, dei Heinerle.“ 
                    Erst lachte auch die Hirtenfrau, dann erkannte sie ihren Heinerle 
                    an der Stimme und kam wie ein Stoßvogel zwischen uns, 
                    die wir nach allen Richtungen auseinander stipten. Nun lachte 
                    sie nicht mehr, wir hörten nur von weitem ihr fürchterliches 
                    Geschimpfe. 
                  Allmählich 
                    kam uns doch die angerichtete Schandtat zum Bewusstsein, zumal 
                    wir unterwegs die Urteile der Bauersfrau hörten: „No, 
                    ihr kimmt ner hom, do kinnt ihr wo derlebn, ihr Pfarrersschlacken.“ 
                  Nach alledem 
                    fanden wir es doch ratsam nicht so schnell zu Hause in Erscheinung 
                    zu treten. Erst mal versteckten wir uns in den dichten Büschen 
                    hinter der großen Freitreppe, die zum Eingang des Pfarrhauses 
                    führte, von wo aus man alles sehen und hören konnte, 
                    ohne selbst gesehen zu werden. 
                  Wir brauchten 
                    nicht lange zu warten. Die Hirtenfrau kam mit ihrem Heinerle, 
                    die ihn nur notdürftig im Gesicht gewaschen hatte, angerannt, 
                    die Treppe hoch und bimmelte mächtige an der großen 
                    Zugglocke. Uns schallte es wie die Glocke des Gerichts in 
                    die Ohren. Unglücklicherweise war Vater allein zu Hause, 
                    Mutter mit den Mägden irgendwo im Dorf oder im Feldgarten. 
                    Als er die beiden sah, lachte er erst über den scheckigen, 
                    noch von Wagenschmiere triefenden Buben. Das war der Hirtenfrau 
                    ein gefundenes Fressen. Sie schimpfte mächtig los: „So, 
                    Sie lachen ja au no, schauns ner her, wie ihre Saubum mein 
                    Heinerle zugericht ham. I bring die Wagenschmirt nimmer runter 
                    von dö Kleider, die sin a hi.“ In dem Ton ging 
                    es eine ganze Weile fort. Schließlich sah der sonst 
                    immer so gütige Pfarrherr ein, dass seine Rangen hier 
                    doch mächtig über das Ziel hinaus geschossen hatten. 
                    Er tröstete die Frau und holte ihr erst einmal Hemd und 
                    Hose für den verdorbenen Lumpenkram des Buben. Für 
                    diesen wurde es nachher sein Sonntagsstaat. Die Frau zog einigermaßen 
                    beruhigt mit ihrem Heinerle ab. 
                  Wir aber 
                    mucksten uns nicht, wussten wir doch nicht, was uns erwartete. 
                    Bald sollten wir peinlichste Gewissheit darüber erhalten. 
                    Der Vater kam die Treppe herabgeschritten, ging durch den 
                    Garten zur Kirchhofsmauer, wo die Zweige einer großen 
                    Trauerweide über die Mauer in unseren Garten gingen und 
                    schnitt sich ein paar Ruten ab, die er durch die Luft pfeifen 
                    ließ. Den Ton kannten wir schon zur Genüge, er 
                    sang uns unheilkündend in die Ohren. Da war es wohl ratsamer, 
                    gar nicht erst zum Abendessen nach Hause zu gehen. Bei Dunkelwerden 
                    schlichen wir uns über die Hintertreppe direkt in unser 
                    Schlafzimmer und krochen in unsere Betten. 
                  Später 
                    kam dann Mutter, brachte uns etwas zu essen und versuchte 
                    uns zu beruhigen, aber wir trauten dem Frieden nicht so recht, 
                    wir kannten unseren alten Herrn schon, was der sich vorgenommen 
                    hatte, das führte er auch aus. Die Weidenruten durften 
                    ja auch nicht trocken werden, sonst pfiffen sie nicht mehr. 
                  Die gute 
                    Mutter hatte wohl ihr Bestes getan. „Ach lass sie doch, 
                    sie waren gestern in Fürth bei den „Somalis“, 
                    da konnten sie doch garnicht anders, als nun auch Somalis 
                    spielen und die Hirtenfrau hast du doch reich beschenkt, die 
                    kann wirklich lachen, für das bisschen Wagenschmiere.“ 
                    Vater hörte jedoch nicht: „Ja, du hilfst immer 
                    deinen Buben, aber wenn ich es durchgehen lasse, kommt es 
                    dach nächste Mal noch toller, ich kenne doch meine Pappenheimer.“ 
                  So kam 
                    er ins Schlafzimmer und die Katastrophe brach über uns 
                    herein. Ihren Einzelheiten will ich lieber nicht schildern, 
                    jedenfalls erinnerte uns der farbige Denkzettel auf unserer 
                    Kehrseite noch lange Zeit lebhaft an die „S o m a l 
                    i“. 
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