Der Vetter aus Amerika!
von Dethardt Lauter
   
         
   

Die Schwester unserer Mutter lebte in Amerika. Eines Tages hieß es, Tante Johanne kommt mit Vetter Fritz und Kusine Karolyne zu Besuch aus Amerika. Die Spannung bei uns Kindern war groß, besonders da unserem Vetter Fritz schon allerhand Gerüchte vorausgingen, die sehr nach Wildwest rochen.

Sie kamen dann auch ganz unverhofft in einer großen Kutsche angefahren, mit viel Gepäck und wurden staunend von uns begrüßt. Vetter Fritz war damals dreizehn oder vierzehn Jahre alt, spielte sich uns gegenüber als der freie Amerikaner auf, der sich uns Landjungen himmelhoch überlegen fühlte. Tatsächlich war er es ja auch, schon durch seine Weltgewandtheit, die weiten Reisen, die er schon hinter sich hatte und besonders, weil er aus dem Wunderland Amerika kam. Dort hatten alle Indianergeschichten, die wir kannten, gespielt und er war so quasi Zuschauer oder vielleicht gar Mitspieler dabei gewesen. Das alles imponierte uns mächtig und machte ihn ganz automatisch zu unserem Anführer bei allen Streichen, solange er bei uns war. Stets war es eine ganze Schar Buerjungen, die er kommandierte und die großen Wälder und vielen Teiche um unser Dorf boten den idealsten Schauplatz für unsere Taten.

Am meisten imponierte uns Fritz, wer er stets einen Revolver bei sich trug, mit dem er im Walde Schießübungen anstellte. Manchmal traf er auch eine Krähe oder einen Hasen, die dann gleich an Ort und Stelle am Spieß gebraten und verzehrt wurden. Die Jagd war ringsum in Privatpacht und so wenig Aufsicht vorhanden, so dass unser Treiben gar nicht weiter auffiel.

Damals war gerade die neue Unsitte aufgekommen, Froschschenkel als Delikatesse zu essen und Fritz setzte diese Kenntnis, die für ihn als USA-Bürger etwas Altes war, sofort in die Tat um, uns damit zu imponieren. Die vielen Teiche beherbergten Unmassen von Fröschen, ihr abendliches Konzert klingt mir heute noch in den Ohren. So zogen wir mit einer alten Bratpfanne, Fett und Salz bewaffnet zu einem möglichst entfernt gelegenen Teich und fingen die fettesten Frösche, denen Vetter Fritz einfach die Hinterschenkel abschnitt und sie wieder in den Teich warf. Wir waren einigermaßen entsetzt darüber, doch er versicherte uns, die Schenkel wüchsen in kurzer Zeit wieder nach, es wäre nur eine Operation wie jede andere auch. Die Schenkel wurden gebraten und sofort verzehrt. Ich entsinne mich nicht mehr, wie sie schmeckten, denn es blieb auch bei dem einmaligen Versuch. Abends zu Hause hatte ich, der Kleinste, der guten Schwester Helene davon erzählt und die hielt Konrad und Fritz eine derartige Moralpauke über die Not der armen Tiere, drohte auch im Wiederholungsfalle es dem Vater zu melden. Wir wussten sie würde es tun und so zogen wir vor lieber die Bekanntschaft mit Vaters Trauerweidenruten nicht zu machen.

Einmal errichteten wir mitten im Wald auf einer großen Lichtung einen riesigen Holzstoß, der dann zum allgemeinen Gaudium von Vetter Fritz angezündet wurde. Er hatte die ganze Schar vorher genauestens instruiert, auch Feuerwachen rings um die Wiese aufgestellt gegen Funkenflug. Es war ziemlich windstill und Fritz passte gut auf und pfiff jeden der nicht genau Acht gab scharf an. Trotzdem hatte die hohe Feuersäule und die mächtige Rauchentwicklung die Feuerwehren von drei Dörfern alarmiert, die bald im Eilmarsch anrückten um den vermeintlichen Waldbrand zu löschen.

Nun gab es erst mal gewaltige Prügel. Jeder Vater griff sich seine Sprösslinge und so entstand aus dem vorherigen Indianergeheul ein Wehgeheul: Die „Totenklage“. Alle wurden wir mächtig durchgewalkt, nur der Amerikaner ging leer aus. Er stellte sich vor einen dicken Eichbaum, zog den Revolver und rief: „Ich schieße jeden über den Haufen, der es wagt, mich anzurühren, ich bin freier Amerikaner und lasse mich nicht schlagen!“ Einem Bauern, der trotzdem Fritz angehen wollte, riss die erste Kugel Fritzens den Hut vom Kopf, worauf Vater ernstlich warnte und sich alle zurückzogen. Ich sehe heute noch unseren Heimzug. Wir Jungen schuldbewusst zum Teil heulend und hinkend, Fritz als letzter hinterdrein mit dem Revolver in der Faust.

Es kam dann auch so, dass Fritz abreisen musste, was weder ihm noch uns gefiel. Er reiste zum Onkel nach Fürth, aber die Stadt war natürlich ein weniger idealer Schauplatz für seine Wildweststreiche.

   
         
         
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